Anfang Juni standen sich Ma Long und Fan Zhendong noch im WM-Finale gegenüber.

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Chengdu – In anderen Zeiten hätte man als sportpolitisches Erdbeben bezeichnet, was sich am Freitag im chinesischen Chengdu abspielte: Ma Long, Fan Zhendong und Xu Xin, die drei besten Tischtennisspieler der Welt, traten bei den China Open geschlossen nicht zu ihren Achtelfinalspielen an.

Ein öffentlichkeitswirksamer Boykott im Volkssport Tischtennis, noch dazu bei einem Heimturnier – eine heftigere Botschaft kann man als chinesischer Sportler kaum senden. Der Grund für das Fernbleiben des elitären Trios war die Entmachtung von Nationaltrainer Liu Guoliang. Dieser wurde zu einem von 16 Verbands-Vizepräsidenten "befördert" und musste deshalb seinen Trainerposten zurücklegen. Der populäre Doppel-Olympiasieger war seit 2003 Teamtrainer, seit 2008 gingen sämtliche Herren-Goldmedaillen bei Olympischen Spielen an China.

Guoliangs Versetzung war Teil einer größeren Reorganisation des Trainingsbetriebs war. Der chinesische Tischtennisverband CTTA baut im Hinblick auf Olympia 2020 um, konkret auf je ein Trainerteam für Damen und Herren. Das mag die sportliche Seite sein – aber auch die Vermutung einer politischen Motivation ist nicht allzu weit hergeholt. Erst Ende Mai wurde Damen-Cheftrainer Kong Linghui wegen angeblicher Wettschulden bei einem Hotel in Singapur entlassen. Zudem wurde in den letzten Wochen auch der Verbands-Generalsekretär ausgetauscht. Ja, es riecht nach Politik.

Protest

Gegen diese wollten die aktiven Stars nun ein Zeichen setzen. Die Platte blieb drei Mal leer – nur drei Mal, da Altstar Zhang Jike bereits zuvor verletzt ausschied und in der gesamten Causa unsichtbar blieb. Auf dem chinesischen Twitter-Zwilling Weibo sprachen Ma Long, Fan Zhendong und Xu Xin ihrem geschassten Ex-Trainer ihre Loyalität aus. Sie posteten gemeinsame Fotos und Karikaturen Guoliangs und schrieben: "Jetzt wollen wir nicht kämpfen, denn wir vermissen dich, Liu Guoliang!"

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Bessere Zeiten: Team-Gold in Rio 2016.
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Schnell schlossen sich andere Tischtennis-Profis und -Trainer dem Protest an, auch aus anderen Sportarten kamen Solidaritätsbekundungen. Regimekritische Auslandschinesen äußerten in westlichen Netzwerken die Hoffnung, dem sportlichen Eklat würde eine größere Bewegung entwachsen. China ist beileibe kein Hort der freien Meinungsäußerung. Öffentliche Auflehnung als potentielle Zündkerzen sind ein rares Gut – es ist aber nicht zu vergessen, dass der Tischtennis-Protest nie explizit politisch war. Es waren Spieler, die gegen die Absetzung ihres Trainers protestierten. Aber es war auch Widerstand gegen Autorität.

Fast ebenso schnell wie die Online-Solidarität kam die Schelte von oben. Die staatliche Sportverwaltung erinnerte durch einen Sprecher daran, dass sich Sportler immer in erster Linie "Patriotismus und Kollektivismus" widmen müssten. Der CTTA wurde angehalten, "streng zu bestrafen". Auch der Tischtennis-Weltverband meldete sich zu Wort, Präsident Thomas Weikert verlieh seiner Enttäuschung über das Fernbleiben der drei Stars Ausdruck. An der wahren Front des Kampfes wendete sich das Blatt: Weibo löschte einen Solidaritäts-Hashtag aus den Trends, die Postings der aufbegehrenden Sportler verschwanden – und auch sie selbst schienen in einem Funkloch zu sein.

Die Entschuldigung

Noch am Freitagabend publizierte der Tischtennisverband einen Entschuldigungsbrief voll kommunistischem Parteisprech. Das Trio und ihre Coaches Qin Zhijian und Ma Lin hätten nach einem Impuls gehandelt und die Neustrukturierungen im Trainerteam nicht vollständig verstanden. Man wäre sich der Schwere der Fehler bewusst und hätte einen schlechten sozialen Einfluss gehabt, man hätte den Ruf des chinesischen Tischtennisteams beschädigt, das "dem Geiste des Patriotismus , Kollektivismus, unerbittlichem Kampf und Ehre anhängt, um für unser Land zu gewinnen".

Guoliang gilt als herausragender Trainer während des Spiels.
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Der Vorfall hätte ernsthafte Probleme im Teammanagement offen gelegt, so der Brief weiter. Man bereue alles zutiefst und würde sich bei den Fans und Zusehern entschuldigen. Nach und nach posteten die fünf Hauptprotagonisten das idente Schreiben auf ihren Weibo-Accounts. Ein öffentliches Schuldeingeständnis und Zurückrudern gleichermaßen. Ob freiwillig oder nicht.

Was bleibt, ist das Fragezeichen der Konsequenzen. China verfügt über einen praktisch unerschöpflichen Pool an erstklassigen Tischtennisspielern, ein Sieg bei Olympia 2020 wäre auch ohne "ML", "FZ" und "XX" möglich. Drakonische Strafen dürften angesichts der Entschuldigung nun aber weniger wahrscheinlich sein. Dennoch: Es gibt keinen Präzedenzfall, dementsprechend unmöglich sind Prognosen. (Martin Schauhuber, 24.6.2017)