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Genossen unter sich: Beim SPD-Parteitag in Dortmund begrüßt SPD-Chef Martin Schulz (rechts) Altkanzler Gerhard Schröder. Ex-SPD-Chef Franz Müntefering, der türkische Journalist Can Dündar (Ex-Chefredakteur von "Cumhuriyet") und Gewerkschaftschef Reiner Hoffmann (von links) schauen zu.

Foto: REUTERS/Wolfgang Rattay

Man hat ihn lange nicht mehr gesehen bei der SPD. "Gut schaut er aus", sagt jemand. Erholt, gebräunt, die Haare sind jetzt etwas länger. Die Rede ist nicht von Martin Schulz. Natürlich ist dieser Wahlparteitag der SPD "sein Parteitag", er ist schließlich SPD-Chef und Kanzlerkandidat.

Doch der Stargast an diesem Sonntag in der Dortmunder Westfalenhalle ist ein anderer: Altkanzler Gerhard Schröder, "der Gerd". Eigentlich macht er sich auf der bundespolitischen Bühne rar. Er hat genug anderes zu tun, ist jetzt Aufsichtsratschef des Fußballvereins Hannover 96, hält Vorträge, macht Geschäfte.

Doch jetzt wird Schröder, immerhin der einzige sozialdemokratische Kanzler seit 1982, gebraucht. Formal gibt es auf diesem Parteitag nur einen einzigen Akt zu vollziehen, nämlich den Beschluss des Wahlprogramms (siehe Wissen). Emotional aber geht es um viel mehr: Die SPD braucht Mut. Nach der anfänglichen Euphorie um Schulz ist sie in Umfragen wieder dauerhaft auf 25 Prozent zurückgefallen.

Schröder will "schrödern"

Das ist zu wenig, um die Wahl zu gewinnen und Kanzlerin Angela Merkel abzulösen – in welcher Koalition auch immer. Also ist Schröder nach Dortmund gekommen, um zu "schrödern", wie man es hinter vorgehaltener Hand nennt. Er soll den Delegierten Kampfesgeist vermitteln, damit diese dann den Optimismus in ihre Ortsvereine weitertragen.

SPD

"Die SPD hat keine Chance" – so beginnt er seine Rede, macht aber gleich klar, dass er eine Schlagzeile aus dem Wahlkampf 2005 zitiert. Auch damals lag die SPD weit hinter der Union. "Wir haben gekämpft und aufgeholt", erinnert Schröder. Zwar reichte es damals nicht mehr fürs Kanzleramt, aber die SPD lag am Wahltag nur ganz knapp hinter der Union.

"Wir werden um jede Stimme kämpfen und unser Ziel erreichen", ruft Schröder, und die Delegierten jubeln. Er preist nicht nur Schulz' Vorzüge, sondern attackiert auch die Kanzlerin: "Die tiefe Spaltung Europas geht auch auf das Konto von Merkel."

Schröder spricht leidenschaftlich, und er weiß natürlich, was hier besonders gut ankommt: Kritik an Merkel gepaart mit Kritik an US-Präsident Donald Trump.

Bierzeltrede der Kanzlerin

"Wenn ich höre, wer sich jetzt alles von den USA emanzipieren will, wundere ich mich selbst über Auftritte in bayerischen Bierzelten. Das waren doch diejenigen, die den Amerikanern in allem, sogar in den Irak-Krieg, folgen wollten. Und wir waren dafür als Antiamerikaner beschimpft worden."

Am Schluss macht er Schulz persönlich Mut: "Martin, du hast eine kampferprobte Partei hinter dir, die dich unterstützen wird."

Schulz ist gleich nach Schröder dran, seine Rede naturgemäß viel länger, allerdings auch langatmiger. Bundeswehr, Kindergärten, Sicherheit, es gibt kein Thema, das nicht angesprochen wird.

Anschlag auf Demokratie

Den meisten Applaus bekommt Schulz, als er den türkischen Präsidenten Erdogan auffordert, inhaftierte Journalisten freizulassen, und wenn es gegen Merkel geht. Jedem müsse klar sein, was es bedeute, wenn sie "systematisch die Debatte um die Zukunft des Landes" verweigere und billigend in Kauf nehme, dass Menschen nicht mehr zur Wahl gehen: "In Berliner Kreisen nennt man das asymmetrische Demobilisierung. Ich nenne es einen Anschlag auf die Demokratie."

Doch die SPD, so Schulz, werde das Merkel nicht durchgehen lassen. In den Wahlkämpfen der vergangenen Jahre habe die Union keine Konzepte vorgelegt. Schulz: "Denn es gibt ja die Angela Merkel, das reicht. Ein erfolgreiches Modell in den Jahren 2009 und 2013. Nicht mehr 2017!" Für die SPD seien "Grundwerte von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität" der Kompass. Die CDU hingegen "wurstelt sich durch".

Mehr Gerechtigkeit

Für ihn stelle sich die Frage: "Stellen wir die Weichen auf Zukunft, oder fahren wir weiter auf Sicht?" Schulz beantwortet die Frage gleich selbst: " Wir sagen, es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit."

Überraschend deutlich wird er in einem Punkt, den auch die Grünen vor einer Woche zur Bedingung für einen möglichen Koalitionsvertrag gemacht haben. "Ich werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem die Ehe für alle nicht verankert ist." Die Debatte über das Programm fällt kurz aus, der Beschluss erfolgt einstimmig. Es gibt nur eine Enthaltung. "Mit dem rede ich noch", scherzt Schulz. Aber grundsätzlich singt er das Schlusslied sehr zufrieden mit. (Birgit Baumann aus Dortmund, 25.6.2017)