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Vor zehn Jahren, am 9. Mai 2007, wollte "Thompson" in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo auftreten. Nach Protesten der jüdischen und antifaschistischen Vereine wurde das Konzert abgesagt.

Foto: REUTERS/DANILO KRSTANOVIC

Marko Perković aka "Thompson" und seine Band "and friends" singen 2017 im Stadion von Mostar. Die Veranstalter charakterisieren das Konzert in holprigem Marketingsprech so: "Nur Gesang, nur Liebe, der Hass frisst von innen auf, dafür ist hier kein Platz, Eintritt frei!" Was soll also an diesem Konzert im Stadion von Mostar unerträglich falsch sein? Außer dem Radebrechen der Veranstalter? Vorab die Antwort: genau alles!

Die Farbe der Kapitulation

Dem Neid wird die Farbe Gelb zugeschrieben, der Zwietracht Grün, der Zorn ist angeblich rot. Auf dieselbe Weise ist Weiß die Farbe der Kapitulation, des Ergebens, der Bitte um ein Schweigen der Waffen.

Am 9. Mai 1945, einen Tag nach dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkriegs, tragen viele eine weiße Fahne, oft nur ein Tuch, einen Fetzen oder ein schmutzigweißes Laken, und wanken aus Schützenlöchern, Kellerbunkern und Ruinen in den anbrechenden Tag. Es sind einzelne Soldaten und ganze Einheiten der Wehrmacht, die an diesem Morgen kapitulieren, sich ergeben und bitten, dass die Waffen schweigen mögen. Der 9. Mai ist der erste Tag des Friedens nach der Kapitulation des Nazifaschismus und seiner Militärmaschine am 8. Mai 1945.

Dass für "Thompson" und die meisten seiner Fans dieser Tag nicht als erster Tag des Friedens, sondern als erster Tag der Niederlage ihrer politischen Option gilt und der Vernichtung dessen, was sie für die einzige wahre patriotische Ideologie halten – daraus machen weder "Thompson" noch viele seiner Anhänger ein Geheimnis. Die notorische Zurschaustellung von Ustaša-Symbolen auf Kappen, Fahnen, Leibchen und Transparenten und das Proklamieren der kroatischen Variante von "Sieg Heil!" ist ja schließlich der Grund für ein De-facto-Auftrittsverbot von "Thompson" und seiner Band im Schengenraum, Amerika und Australien.

Und wie das Amen im Gebet ist auch 2017 im Velež-Stadion von Mostar, das jetzt Zrinjski heißt, der kehlig-heisere Stimmstumpf einer Horde zu hören, die da ruft: "Za dom spremni!" Doch das ist nur einer, aber nicht der wichtigste Grund, warum dieses Konzert, "Thompson", seine Band, seine Fans und ihre Weltsicht ausgerechnet in Mostar und ausgerechnet im Velež-Stadion, das jetzt Zrinjski heißt, falsch und fehl am Platz sind.

Mostar, 9. Mai 1993

Auf den Tag genau 48 Jahre nachdem Soldaten der Wehrmacht ihre Kapitulation mit weißen Laken, Fetzen und Tüchern bekunden, werden an diesem 9. Mai 1993 die muslimischen Bewohner des westlichen Ufers der Neretva in der Stadt Mostar aufgefordert, zum Zeichen ihrer Kapitulation weiße Laken, Fetzen und Tücher von den Balkonen und Fenstern ihrer Wohnungen zu hängen. Wohlgemerkt gilt diese Aufforderung zur Kapitulation nicht einer Armee – die ist an diesem Tag bereits im Zustand der Kapitulation –, sondern den Zivilisten! Es sollen alle Muslime, auch Frauen, Kinder, die Alten und die Kranken, kapitulieren. Das, so scheint mir, ist die Erfüllung des feuchten Traums der bosnisch-kroatischen Führung vom totalen Sieg über "die Muslime".

Die Aufforderung zur Kapitulation wird den ganzen Morgen des 9. Mai 1993 über das Radio verbreitet. Zusammen mit der Aufforderung an die Muslime, ihre Wohnungen zu verlassen. Die Stimme der kroatischen Journalistin Zlata Brbor macht auch unmissverständlich klar, dass diese Aufforderung für alle Muslime gilt, egal ob alt, jung, krank, gesund, Mann oder Frau oder Kind. Die Planer, Befehlshaber und Mentoren dieser "Kapitulation der Muslime" sind hochrangige Angehörige der bosnisch-kroatischen Armee HVO (Hrvatsko vijeće obrane) und Politiker des fiktiven kroatischen Gebildes "Herceg-Bosna" unter der geistigen Patronage von Franjo Tuđman. Ihre Namen lauten: Jadranko Prlić, Bruno Stojić, ("General") Slobodan Praljak, Milivoj Petković, Valentin Ćorić und Berislav Pušić.

Die Genannten sind wegen dieser "muslimischen Kapitulation", der Morde, die dabei begangen werden, und der anschließenden Vertreibung und/oder Inhaftierungen in Lager bereits in der ersten Instanz vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verurteilt. In Kürze folgt der Richterspruch im Berufungsverfahren, wonach das Urteil rechtskräftig wird.

Doch an diesem 9. Mai 1993 sind Prlić, Stojić, Praljak, Petković, Ćorić und Pušić die Herren über Leben und Tod. Und über tausende nun leerstehende Wohnungen. Die muslimischen Besitzer dieser Wohnungen werden an diesem 9. Mai in das Stadion getrieben. Das Velež-Stadion, das damals noch Velež heißt. Da, wo 2017 "Thompson", der Turbokroate, für sein turbokroatisches Publikum singt, wo "nur Gesang, nur Liebe" ist, weil "der Hass von innen auffrisst" und wo "dafür kein Platz" ist. Und all das bei freiem Eintritt.

Auch das ist nur ein, sogar ein besserer Grund als der erstgenannte, aber immer noch nicht der wichtigste Grund, warum dieses Konzert, "Thompson", seine Band, seine Fans und ihre Weltsicht ausgerechnet in Mostar und ausgerechnet im Velež-Stadion, das jetzt Zrinjski heißt, falsch und fehl am Platz sind.

Für wen die Glocke läutet

Der wichtigste Grund, warum dieses Konzert im Stadion von Mostar fehl am Platz ist, liegt in seiner Natur. Es ist ein Benefizkonzert bei freiem Eintritt. Ein Benefizkonzert also, das nicht einmal Geld für einen Zweck sammeln will, sondern als Zeichen der moralischen Unterstützung gedacht ist. Für wen? Sie werden es schon ahnen: für Jadranko Prlić, Bruno Stojić, ("General") Slobodan Praljak, Milivoj Petković, Valentin Ćorić und Berislav Pušić.

In den Presseaussendungen vor dem Konzert und in der Ansage beim Konzert wird gesagt, die genannten kroatischen Patrioten seien zu Unrecht angeklagte und verurteilte Märtyrer, die ihren Einsatz für ihren Glauben und ihre Heimat mit einem hohen Preis bezahlen würden – weswegen man sie mit diesem Konzert moralisch stärken wolle. Und all das unter der holperigen Motto-Wurst: "Nur Gesang, nur Liebe, der Hass frisst von innen auf, dafür ist hier kein Platz, Eintritt frei!"

Damit die Dinge glasklar sind, nenne ich jetzt kurz alles beim Namen. Am 9. Mai 1993 werden alle muslimischen Zivilisten von West-Mostar im Velež-Stadion zusammengetrieben, anschließend vertrieben oder in Lager (Dretelj, Gabela, Heliodrom) gesperrt. Dabei geschehen Morde, Vergewaltigungen, Folterungen, Raub und Misshandlungen. Die Urheber und Befehlshaber des Verbrechens sind kroatisch-bosnische Offiziere und Politiker: Jadranko Prlić, Bruno Stojić, ("General") Slobodan Praljak, Milivoj Petković, Valentin Ćorić und Berislav Pušić. 2017 veranstaltet "Thompson" im Stadion von Mostar ein Benefizkonzert zur moralischen Unterstützung der Urheber und Befehlshaber.

Bis zur Rechtskraft des Berufungsverfahrens muss ich dazuschreiben: Für die Genannten gilt (noch) die Unschuldsvermutung.

Unter der Lupe

Ein Blick in das Innere dieses Verbrechens lohnt sich. Wenn auch nur, um den Aberwitz, der im Detail steckt, zu betrachten.

Das Bodenpersonal, dem die unmittelbare Durchführung der ethnisch-religiösen "Säuberung von West-Mostar" anvertraut wird, ist ein bunter Haufen, der hauptsächlich aus Hyänen in Menschengestalt besteht. Die bunteste dieser Hyänen ist aber kein katholischer Kroate, sondern der Moslem Jusuf "Juka" Prazina. Vor dem Krieg ist Prazina als Geldeintreiber und Kleinganove in ganz Sarajevo bereits bekannt, aber am Beginn des Krieges in Bosnien ist Prazina als "Der Wolf von Sarajevo" in ganz Bosnien berühmt. Mit seiner Privatarmee aus Verbrechern, genannt "Jukas Wölfe", wird er zu einem der wichtigsten Warlords von Alija Izetbegović, der den Noch-immer-Verbrecher Prazina zum hohen Polizeioffizier ernennt. Doch 1993, als Izetbegović beschließt, einige aufsässige Warlords loszuwerden, desertiert der "Wolf von Sarajevo" mit vielen seiner "Wölfe" – um sich der kroatisch-bosnischen Armee bei Mostar anzuschließen.

An diesem 9. Mai 1993 sind auch Juka Prazina und seine "Wölfe" mit kroatischen Abzeichen auf den Uniformen dabei. Prazina wird von einem TV-Journalisten um ein Interview gebeten. Angesprochen auf seine Teilnahme an der Vertreibung der Muslime aus West-Mostar antwortet Juka Prazina so: "Es stimmt, ich bin ein Moslem – aber die sind keine echten Muslime!"

Noch im selben Jahr, zum Dank für seine Verdienste um "Herceg-Bosna", gewährt Franjo Tuđman, der kroatische Präsident, Jusuf Prazina Asyl in der Republik Kroatien. Doch Dubrovnik wird Prazina schnell langweilig, und er begibt sich mit einer Handvoll Leibwächter nach Belgien mit dem Plan, dort Gangster zu sein. Doch seine Leibwächter haben die Nase voll – oder jemand macht ihnen ein unwiderstehliches Angebot, so genau will man das bis heute nicht wissen. Der "Wolf von Sarajevo", "General" Jusuf "Juka" Prazina, wird im Abflussgraben einer belgischen Autobahn gefunden. Todesursache: mehrere aufgesetzte Kopfschüsse, execution style.

As im Ärmel

Wenn man die fiktive Lupe ein wenig bewegt, sieht man auch Mladen Naletilić "Tuta" und Vinko Martinović "Štela". Naletilić ist ein Zuhälter und "Glücksspieler" aus der "goldenen Zeit" der Jugo-Gangster im Ausland. In Mostar ist er jedoch Befehlshaber des "Sträflingsbataillons" (Kažnjenička bojna) der bosnisch-kroatischen Armee HVO. Martinović ist vor dem Krieg ebenfalls nur ein Krimineller, aber an diesem 9. Mai 1993 ist er die rechte Hand von Mladen Naletilić. Heuchelei kann man diesen beiden nicht vorwerfen, sie sind "Biokroaten", keine "Beutekroaten" wie Prazina.

Dieses Sträflingsbataillon ist buchstäblich eines: Seine Angehörigen sind Berufskriminelle und straffällig gewordene Soldaten, die direkt aus Gefängnissen "zur Bewährung" in diese Einheit der HVO ausgehoben werden. Die beiden Abteilungen des Bataillons sind nach den Spitznamen ihrer Kommandanten bekannt: "Tutići" und "Štelići". Man muss sich nicht vorstellen, wie sie bei der "Kapitulation" mit den Muslimen umgehen. Diejenigen, die es überleben, sagen später in Den Haag ausführlich dazu aus. Deswegen sitzen "Tuta" und "Štela" lange Zeit "im Schatten" – wie man unter professionellen Spitznamenträgern so sagt.

Als Lohn für die erfolgreiche "Arbeit vor Ort" dürfen Naletilić, Martinović und Prazina einen Teil der "befreiten" Wohnungen "verwalten" – sprich plündern, weiterverkaufen und profitieren. Den Rest dieser Wohnungen "verwalten" die höheren Chargen. Jene bosnisch-kroatischen Patrioten und frommen Christen, zu deren moralischer Unterstützung "Thompson" 2017 in Mostar singt und für die hochrangige Priester in Kroatien und Bosnien immer wieder Messen lesen.

Dieser Tage fragen mich Freunde, warum mein drittes Buch wieder von Verbrechern handelt – diesmal von den Kriegsverbrechern des Ex-YU-Krieges. Ich sage zur Antwort: "Weil Thompson 2017 im Stadion von Mostar singen kann."

Der Arbeitstitel lautet übrigens "Der dümmste Krieg". Frei nach Milovan Đilas. Und während ich diese Kolumne schreibe, höre ich Chet Baker singen. Von Liebe. (Bogumil Balkansky, 30.6.2017)