Die griechische Hauptstadt droht im Müll unterzugehen.

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Ein süßlicher Geruch schwappt durch die breiten Treppenaufgänge von der U-Bahn-Station zum Syntagma-Platz in der Athener Innenstadt. Athen war nie berühmt für seine Luft, doch jetzt, am sechsten Tag des Streiks der Müllarbeiter in der griechischen Hauptstadt und überall im Land, ist olfaktorischer Ausnahmezustand. Athen stinkt.

Alexis Tsipras hat die Straße zu seinem Amtssitz mit Polizeibussen absperren lassen, alten blauen Ungetümen mit vergitterten Fensterscheiben, quer geparkt über die Irodou Attikou. Polizeibeamte in Kampfmontur haben sich aufgebaut, um die streikenden Arbeiter, die es hinter die Busse geschafft haben, am Sturm auf den Regierungssitz zu hindern. Doch den Gestank von verrottendem Mist kann auch der griechische Ministerpräsident nicht aufhalten. Er geht durch Fenster und Türen. Selbst die Klimaanlagen können ihn nicht wegfiltern. Aber das mag schon Einbildung sein.

"Dreck unserer Politik"

"Sehen Sie sich das an!", schimpft ein älterer Mann, der seinen Enkel an der Hand hält, und deutet auf einen Berg von Plastiksackerln, die prall gefüllt aus Müllcontainern auf die Straße quellen: "Das ist der Dreck unserer Politik!" Die Verkäuferin einer Konditorei, einer Zacharoplasteio in diesem Viertel, unweit des Amtssitzes des Regierungschefs, schleppt einen weiteren großen schwarzen Müllsack herbei, der zugeschnürt wird und auf den Berg kommt. Die Frau trägt einen Mundschutz.

Denn längst schon ist der Streik der griechischen Mistarbeiter nicht allein ein politisches Problem, sondern auch ein Risiko für die Gesundheit. Die Athener Staatsanwaltschaft nahm am Montag bereits Vorermittlungen auf, um zu prüfen, wer alles für die Stinklawine zur Verantwortung gezogen werden könnte – die städtischen Arbeiter, deren Gewerkschaft oder lieber die Minister?

Essensreste und Babywindeln

Die Zeit drängt. Es ist warm in Athen, über 30 Grad. Essensreste und Babywindeln backen in der Sonne. Ab Freitag aber soll es richtig heiß werden. 43 Grad sagen die Meteorologen voraus. Die Hitzewelle aus Nordafrika sei schon im Anmarsch. Bis dahin allerspätestens muss dieses jüngste Streikproblem gelöst sein. Die Griechen hatten dieses Jahr schon wieder einige davon: Bauern, Busfahrer, Ärzte, Fährkapitäne, bis vergangene Woche auch die Notare. Acht Monate haben die durchgehalten; sie protestierten gegen Störer, die Notare bei öffentlichen Zwangsversteigerungen von Häusern angreifen. Streiks gehören zur großen Wirtschafts- und Finanzkrise in Griechenland.

Die Bürgermeister von Athen und Thessaloniki, den beiden größten Städten des Landes, sind genervt. Giorgos Kaminis und Yiannis Boutaris, beides keine Parteipolitiker, rufen die linksgeführte Regierung zum Handeln auf. Boutaris drohte mit der Privatisierung der Müllentsorgung in seiner Stadt, was die Gewerkschaft offenbar beeindruckte; Montagnacht legte sie eine Notschicht ein und trug einen Teil des Mistbergs im Zentrum von Thessaloniki ab. In Athen müht sich die Stadtverwaltung, die Touristen nicht zu verprellen. Abfalleimer auf den großen Plätzen und an Haltestellen der Straßenbahn sind wie durch Zauberhand dauernd leer, ebenso die Müllcontainer vor dem Besuchereingang zur Akropolis. Abseits von den Touristenpfaden sieht es anders aus.

Übervolle Container

Gut zwei Meter hoch türmt sich der Mist am Ende der Plateia Proskopon, einem Platz mit einem halben Dutzend Tavernen in Pangrati, ebenfalls nicht weit vom Amtssitz von Staatschef und Ministerpräsident. "Wir alle hier schaffen unseren Mist dorthin", sagt ein junger Kellner und zeigt auf die Wand von Plastiksäcken, "wir haben keine andere Wahl". Auch am Eingang zum Proskopon-Platz stehen übervolle Container. Noch merken die Gäste am Abend nicht allzu viel davon, sagt Giorgos, der Kellner. Fürchterlich wird es, wenn die Müllabfuhr dann einmal kommt und die Säcke aufhebt, so erklärt der junge Grieche. Er hat Verständnis für die streikenden Mistarbeiter.

6.000 dieser Arbeiter haben bald keinen Job mehr, gar von 10.000 spricht die Gewerkschaft der Beschäftigten bei Städten und Gemeinden. Ihre Arbeitsverträge sind beschränkt auf zwei oder acht Monate. Denn anstellen dürfen Griechenlands Kommunen niemanden mehr, so schreiben es die Kreditgeber vor. Ausnahmen sind nur erlaubt für das Management von Notsituationen – etwa bei Erdbeben oder Feuersbrünsten. Der griechische Staat hat dabei schon etwas geflunkert, Zeitverträge an Arbeiter zur Mistentsorgung vergeben und auch einmal verlängert. Schon vor der Finanzkrise war die Müllentsorgung so organisiert. Jetzt aber ist das Ende der Fahnenstange da.

Gewerkschaftschef verhandelt

Nikos Trakas kommt am Dienstagmittag aus dem Amtssitz des Premiers, er hat mit Tsipras verhandelt. Trakas ist der Gewerkschaftschef, ein Arbeiterführer wie aus dem proletarischen Bilderbuch: braungebrannt, mit kurzen Haaren und kämpferischem Blick. Sein blaues Sakko hat große Lederflecken an den Ellenbogen. Tsipras hätte gute Vorschläge gemacht, sagt der Gewerkschaftsboss. Darüber wolle er nun mit seinen Kollegen beraten. Ein Wind kommt nachmittags endlich auf, zur größten Hitze in Athen, und treibt ein wenig von dem Gestank aus den engen Straßen. Die Athener nehmen es als Zeichen für das baldige Ende dieser Mistkrise. (Markus Bernath, 27.6.2017)