London/Brüssel – EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat die Finanzlücke für das europäische Budget nach dem Brexit mit zehn bis elf Milliarden Euro beziffert. Bei der Präsentation des Reflexionspapiers für die Zukunft der EU-Finanzierung kündigte Oettinger am Mittwoch an, dass der Entwurf für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen erst im Frühsommer 2018 kommen werde. Geplant war eine Vorlage bis Ende 2017.

Oettinger erklärte, mit dem Brexit werde auch die "Mutter aller Rabatte, der Thatcher-Rabatt", wegfallen. "Dann sollten wir auch die Kinder ziehen lassen", so Oettinger zu weiteren kleineren Rabatten einiger EU-Staaten. "Wir streben an, dass es mit dem Wegfall des Britenrabatts zum Wegfall aller Rabatte kommt und damit eine große Vereinfachung" möglich werde.

Umschichtungen und Kürzungen

Angesichts des Fehlbetrags von netto bis zu elf Milliarden Euro durch den Austritt der Briten "können wir nicht so tun, als wäre alles wie bisher". Deswegen "werden wir im vertretbaren Umfang Umschichtungen und Kürzungen vorschlagen". Klar sei aber, dass man nur mit Kürzungen nicht die Brexit-Lücke decken könne. "Und schon gar nicht können wir neue Aufgaben voll finanzieren", so Oettinger.

Zur Finanzierung des EU-Haushalts erklärte der Kommissar: "Wir streben keine EU-Steuern an. Aber die Beteiligung an bestehenden Steuern ist eine Überlegung." Regionalkommissarin Corina Cretu meinte, es gehe um realistische Vorschläge, die Eigenmittelmöglichkeiten der EU auszuweiten. Der Haushalt derzeit sei nicht in der Lage, sich den Herausforderungen anzupassen.

Wie berichtet ist der Wegfall der britischen Nettobeiträge auch für Österreich eine Belastung. Es gibt Berechnungen, wonach die heimischen Überweisungen an die EU wegen des Brexits um rund 400 Millionen Euro steigen werden. Allerdings drängt beispielsweise Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) auf Einsparungen, damit die Belastung nicht steigt.

Startschuss für Beratungen

Oettinger sprach von einem "Startschuss für die Budgetberatungen der EU-27 nach dem Ausscheiden der Briten". Zu den bestehenden langjährigen Ausgaben bei Landwirtschaft, Kohäsion, Soziales, Strukturpolitik kämen neue Aufgaben wie Verteidigung, Grenzschutz, Flüchtlingsaufgaben, Migration und Entwicklungshilfe dazu. Es gehe auch darum, "die Fluchtgründe des nächsten Jahrzehnts zu mindern oder vermeidbar zu machen".

Der EU-Haushalt habe derzeit etwas jährlich 150 Milliarden Euro an Einnahmen und Ausgaben. "Die EU selbst ist schuldenfrei", dies sei ein großer Unterschied zu den Nationalstaaten. Oettinger verwies darauf, dass von 100 Euro, die ein europäischer Bürger verdiene, 50 Euro in öffentliche Kassen gingen. Von diesen 50 Euro gehe nur ein einziger Euro ins EU-Budget. In den USA gingen von 50 Dollar dagegen 30 Dollar nach Washington D.C. "Ich glaube, dass wir damit unsere Sparsamkeit und Effizienz, den Binnenmarkt zu stabilisieren, auf Krisen zu reagieren, Flüchtlingsaufgaben zu bewältigen, erwiesen haben".

22 Zollmöglichkeiten entfallen

Bei der Entwicklung der EU-Mittelaufbringung habe sich in den vergangenen Jahrzehnten vieles geändert. Die 6er-Union habe viele Zolleinnahmen gehabt, mit der Erweiterung auf 28 seien aber 22 Zollmöglichkeiten entfallen. Deswegen machten heute Zölle nur mehr knapp zehn Prozent der Einnahmen aus, weitere zehn Prozent kommen über die Mehrwertsteuer und 70 Prozent von den nationalen Haushalten.

Zum Rechtsstaatsprinzip und Flüchtlingen sowie einer Verknüpfung der Auszahlung von EU-Geldern mit einer solidarischen Haltung der Staaten sagte Cretu, dieser Punkt sei langjährig beraten worden. Sie sei voll und ganz damit einverstanden, dass es Solidarität in beide Richtungen geben solle. Strukturfondsmittel können künftig für Migranten verwendet werden. "Es gibt keine Entschuldigung mehr", so die Kommissarin. (APA, 28.6.2017)