Foto: Christian Fischer

Wien – Es ist ein zwiespältiges Ergebnis, auf das sich SPÖ und ÖVP geeinigt haben. Denn die Abschaffung des Pflegregresses ist beides zugleich: gerecht und ungerecht.

Vernünftig ist die Beseitigung einerseits deshalb, weil der Regress in sich ein höchst unfaires Modell des Vermögenszugriffs ist. Das spüren nicht nur Pflegepatienten selbst, sondern vor allem deren Nachkommen: Wer das Pech hat, dass Vater oder Mutter für längere Zeit im Heim landet, fällt womöglich um sein gesamtes Erbe um. Erfreuen sich die Eltern hingegen bis zum Tod guter Fitness, bleibt die Hinterlassenschaft erhalten. De facto ist der Regress also eine radikale Erbschaftssteuer nach dem Zufallsprinzip.

Im Kreis der Betroffenen ist das Risiko noch einmal ungleich verteilt. Es hängt vom Bundesland ab, in welchem Ausmaß sich die öffentliche Hand aus dem privaten Eigentum die Ausgaben für den Pflegeheimplatz zurückholt. Manche können sich aus der Affäre ziehen, indem sie ihr Hab und Gut auf dem Papier rechtzeitig verschenken. Wer den Zeitpunkt verpasst, zahlt voll drauf.

Andererseits aber sollten betuchte Bürger insgesamt mehr statt weniger zur Finanzierung des Sozialsystems beitragen. Derzeit schont der Staat Vermögen, belastet dafür Arbeitsleistung massiv – und hemmt damit das Wirtschaftswachstum. Gerade die Ausgaben für Pflege drohen den Druck noch weiter zu erhöhen: Weil Zahl und Alter der Senioren stetig steigen, kommen auf die Allgemeinheit horrende Kosten zu.

Die Abschaffung des Regresses ist da ein vergleichsweise kleiner Batzen. Die offiziell kalkulierten 100 bis 200 Millionen Euro werden das nächste Budget nicht sprengen. Deshalb ist es auch nebensächlich, ob die Ideen für die Gegenfinanzierung tatsächlich halten, was sie versprechen; beim Foto für die E-Card, das Missbrauch verhindern sollen, ist das Gegenteil anzunehmen. Für die Zukunft aber wird der Staat nicht umhinkommen, eine verlässlich sprudelnde Geldquelle zu erschließen.

Eine klassische Pflichtversicherung nach Vorbild des Gesundheitssystems würde wieder nur die Arbeit verteuern. Deshalb bietet sich eine echte Erbschafts- und Schenkungssteuer an, die Vermögen einheitlich mit einem progressiven Steuersatz belastet, statt dies vom Unglück der Gebrechlichkeit abhängig zu machen. Der Zugriff sollte jedoch deutlich früher einsetzen als im von der SPÖ propagierten Modell: Ein Freibetrag von einer Million würde viele relativ wohlhabende Menschen ausklammern, denen sehr wohl ein Beitrag zumutbar ist.

Eine Mehrheit für ein solches Modell ist aber nicht absehbar, ÖVP und FPÖ sind strikt dagegen. So birgt die Abschaffung des für sich genommen ungerechten Regresses eine bedenkliche Nebenwirkung: Vermögende werden einmal mehr aus der Pflicht entlassen, etwas zur Finanzierung des Sozialstaats beizutragen. (Gerald John, 29.6.2017)