Ein überraschendes Desaster bei der vorgezogenen Unterhauswahl Anfang Juni, heftige Kritik an der Regierung nach dem Brand im Grenfell Tower und zuletzt sogar ihre eigenen Minister, die tun, was sie wollen: Premierministerin Theresa May scheint derzeit mehr eine Getriebene zu sein, als die britische Regierung zu führen.

Am Donnerstag ließ May über ihr Regierungsprogramm im Parlament abstimmen. Mit den Stimmen der rechtskonservativen nordirischen DUP konnten die konservativen Tories, die allein über keine absolute Mehrheit im Unterhaus verfügen, ihr Programm durchboxen.

In der Kritik: die britische Premierministerin Theresa May.
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Dass daran überhaupt Zweifel aufkamen, lag unter anderem an den Geschehnissen des Vortags. Mitglieder der Konservativen deuteten am Mittwoch an, dass die seit Jahren geltende Beschränkung der Gehaltszuwächse im öffentlichen Dienst (maximal einprozentige Lohnsteigerung) beendet werden soll. Sowohl Verkehrsminister Chris Grayling als auch Verteidigungsminister Michael Fallon sagten sogar öffentlich, dass man diese Politik überdenken müsse.

In einem Eingeständnis, dass May offenbar ihre eigenen Ministerien nicht mehr unter Kontrolle hat, ruderte ein Sprecher der Premierministerin zurück: "Die Regierungspolitik hat sich nicht geändert." Die Beschränkungen im öffentlichen Dienst sollen also weiter bleiben.

Umstrittene Deckelung der Gehälter

Am Mittwochabend brachte Labour dann einen Abänderungsantrag ein, der die Deckelung von Gehaltszuwächsen im öffentlichen Dienst aufheben sollte. Wie nervös May vor der Abstimmung war, zeigte sich daran, dass Außenminister Boris Johnson extra von den Zypern-Friedensverhandlungen in der Schweiz nach London zurückkehren musste, damit er im Unterhaus mitstimmen konnte. Der Labour-Antrag wurde abgelehnt.

Am späten Abend folgte dann der Nachschlag. Im Programm "Newsnight" der BBC forderte die konservative Abgeordnete und ehemalige Bildungsministerin Nicky Morgan, dass May bei der nächsten Wahl nicht mehr als Spitzenkandidatin antreten solle.

Sobald die Umrisse des Brexit-Deals feststehen, so Morgan, dürfen die Konservativen "die Chance nicht verpassen", Theresa May abzusägen. EU-Chefverhandler Michel Barnier zielt auf einen ersten Deal mit Großbritannien im Oktober 2018 ab.

Ausschnitt aus der BBC-Sendung "Newsnight".
BBC Newsnight

Der prominente konservative Abgeordnete Jacob Rees-Mogg, der für seine Querschüsse gegen die eigene Parteispitze gefürchtet ist, warnt allerdings vor voreiligen Schlüssen. Man könne im Vorhinein nie wissen, wie lange sich ein Premierminister halte. Margaret Thatcher habe man zu Amtsbeginn auch keine Chancen auf eine lange Regierungszeit gegeben. Tatsache sei: "Die Konservativen wollen keine Neuwahl, die DUP will keine Neuwahl, und die Abgeordneten aus den hinteren Reihen der Labour-Partei wollen auch keine Neuwahl."

May selbst will zumindest zwei Jahre – also für die Dauer der Brexit-Gespräche – im Amt bleiben. Zunächst war dafür aber vor allem eine erfolgreiche Abstimmung über das konservative Regierungsprogramm am Donnerstag nötig.

Die Gefahr im Nacken: Ausgerechnet Abgeordnete der eigenen Partei könnten Theresa May zum Verhängnis werden.
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Der Erfolg bei dieser Abstimmung könnte May jedoch schwächen statt stärken. Nachdem das Regierungsprogramm beschlossen ist, könnten sich die gefürchteten "backbenchers" der Konservativen, also Abgeordnete aus den hinteren Reihen, die für ihre internen Querschüsse gefürchtet sind, sicher genug fühlen, um May öffentlich anzugreifen.

Denn die Macht der eigenen Partei würden sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gefährden – schließlich wäre das konservative Regierungsprogramm bereits beschlossen. (stb, 29.6.2017)