Bis zur Eintragungswoche im Frühjahr 2018 soll gesellschaftlicher Druck entstehen, sagt die Mitinitiatorin vom Frauenvolksbegehren 2.0 Teresa Havlicek.

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STANDARD: Im April wurden die 15 Forderungen des Frauenvolksbegehrens 2.0 präsentiert, nun ist die finanzielle Hürde geschafft. Was war schwieriger, sich auf Forderungen zu einigen oder das Geld zu sammeln?

Havlicek: Diese beiden Aufgaben lassen sich nicht vergleichen. Die 15 Forderungen waren eine sehr komplexe inhaltliche und auch diplomatische Herausforderung: Wir wollten niemanden vergessen und wollten so viele Stimmen wie möglich berücksichtigen, aber ohne dass es sich durch eine Unmenge an Forderungen in der Bedeutungslosigkeit verliert. Geld zu sammeln ist hingegen eine sehr kleinteilige Arbeit, tausende Social-Media-Postings, bei zugesagten Spenden nachhaken und so weiter.

STANDARD: Feministische Initiativen arbeiten oft basisdemokratisch oder organisieren sich als vielstimmige Kollektive. Beim Frauenvolksbegehren ist es anders, es gibt eine Sprecherin und auch Sie sprechen jetzt allein für das Volksbegehren. Warum?

Havlicek: Die Forderungen selbst sind sehr wohl basisdemokratisch entstanden. Wir haben vorab alle uns wichtig erscheinenden Organisationen befragt, welche Forderungen sie für zentral halten, haben sie in Plenen diskutiert und haben in einem sehr mühsamen Prozess mit Hilfe dieser Vorschläge die 15 Forderungen gesammelt. Doch abgesehen von dieser inhaltlichen Arbeit pflegen wir auch einen gewissen Pragmatismus, schließlich haben wir begrenzte zeitliche Ressourcen.

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STANDARD: Mehr Geld für den Gewaltschutz, Mindestlohn von 1.750 Euro oder Verbot von Sexismus in der Werbung lauten etwa drei Forderungen. Wo lagen bei der Zusammenstellung der Forderungen die größten Schwierigkeiten?

Havlicek: Bei der Menge der Forderungen. Einerseits sind 15 viel, und manche meinten, weniger wären besser. Wir wollten aber der Komplexität feministischer Themen gerecht werden – es hätte noch Unzähliges gegeben, was wir noch hätten reinnehmen können. Beim Thema Sexualität etwa der Zugang zu Hormonbehandlungen für Transpersonen oder Samenspenden für lesbische Frauen, auch der Bereich Sexarbeit fehlt in unseren Forderungen. Letztendlich sind die Prioritäten aber demokratisch im Plenum abgestimmt worden.

STANDARD: Kritik kommt von verschiedensten Seiten. Manchen sind die Forderungen nicht radikal genug, manchen sind sie zu realitätsfern. Wie geht ihr damit um?

Havlicek: In den Nächten vor der Pressekonferenz beschäftigte mich das sehr. Ich hatte den Eindruck, dass wir es gar nicht richtig machen können. Wir müssen uns jetzt tatsächlich in die verschiedensten Richtungen hin verteidigen. Die Kritik fällt uns gegenüber auch anders aus als bei anderen Volksbegehren. "Nett gemeint, aber undurchdacht", so redet man ganz gern mit jungen Frauen. Auch der Vorwurf, wir seien halt urbane Mittelschichtsfrauen, die nicht viel wissen können über diverse Probleme, geht in diese Richtung. Ich habe mir angesehen, von wem die Volksbegehren der letzten Jahre initiiert wurden, und das war immer eine urbane Gruppe von Leuten – die dann erst an Breite gewonnen hat. Der Vorwurf "urbane Mittelschicht" ist etwa beim Volksbegehren zur Bildung oder gegen Kirchenprivilegien nie aufgetaucht.

STANDARD: Für die Forderungen, die 24-Stunde-Pflege nur mehr über das Angestelltengesetz möglich zu machen, die Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden oder den Mindestlohn von 1.750 lautet die Kritik nicht nur, dass es nicht umsetzbar ist, sondern auch, dass das letztendlich Frauen sogar schade.

Havlicek: Bei der Pflege haben wir unsere Forderungen bewusst radikal formuliert. Wir wollen so zeigen, was man sich auf dem Rücken von Frauen alles einspart. Tatsächlich funktioniert vieles in unserer Gesellschaft nur, weil Frauen viel unbezahlte Arbeit leisten, weil Pflege unter prekären Bedingungen gemacht wird und weil es ein großes Lohngefälle zwischen Österreich und Osteuropa gibt. Die Frage, wer soll das alles bezahlen, wenn die Pflege nur mehr nach Kollektivvertrag bezahlt wird, zeigt ja nur, wie dramatisch die Situation eigentlich ist. Der erste Gedanke ist dann, dass sich das Privathaushalte nicht leisten können – aber dann muss man sich eben ernsthaft überlegen, wie Pflege in Zukunft aussehen soll und wie viel Geld dafür nötig ist. Man muss sich fragen: Ist Pflege wirklich Privatsache? Wären mehr Sachbezüge besser? Und wo liegen unsere Prioritäten? Banken sind offenbar systemimmanent, da sind dann schnell mal 19 Milliarden bei der Hand.

STANDARD: Eine Umsetzung der 30-Stunden-Woche für alle bei vollem Lohnausgleich ist extrem unwahrscheinlich. Warum also überhaupt diese Forderung?

Havlicek: Die Überlegung ist ganz einfach. Wenn ein Elternpaar 40 Stunden arbeiten geht, bleibt weder Zeit für Kinderbetreuung noch für die Pflege von Älteren, auch nicht für die Hausarbeit. Das sieht doch jeder. Fünfzig Prozent der Frauen arbeiten Teilzeit, bei Frauen mit Kindern unter 15 Jahren sind es sogar 75 Prozent. Frauen haben also schon eine Arbeitszeitverkürzung – allerdings mit allen Nachteilen.

STANDARD: Demnach waren realpolitische Veränderungen nicht voranging in der Formulierung der Forderungen, sondern Symbolpolitik?

Havlicek: Wir glauben natürlich nicht, dass 2018 alle 15 Forderungen umgesetzt werden. Aber wir glauben, dass für Veränderungen gesellschaftlicher Druck entstehen muss. Im Moment ist es wichtig, dass frauenpolitische Themen wieder mehr Öffentlichkeit bekommen, da kann ein Volksbegehren helfen. Ich finde aber keine unserer Forderungen realitätsfern oder unmöglich umzusetzen – ich bin mir aber bewusst, dass sie mit der derzeitigen parteipolitischen Zusammensetzung in Österreich nicht umgesetzt werden. Oder solange Menschen Parteien wählen, die nicht bereit sind, frauenpolitische Themen grundsätzlicher anzugehen.

STANDARD: Von Neos-Politikerinnen kam der Einwand, diese Forderungen würden "nichtlinke Frauen" ausschließen. Ein Frauenvolksbegehren nur für Linke?

Havlicek: Wir wollen mit diesen Zuschreibungen nichts zu tun haben, und wir glauben auch, dass es dem Feminismus nicht zuträglich ist, wenn er sich ausschließlich als links deklariert. Wir haben Organisationen, die mit den verschiedensten Problemen von Frauen konfrontiert sind, gefragt: Welche Forderung würdet ihr stellen, damit es Frauen morgen besser geht? So haben wir gearbeitet.

STANDARD: Das Volksbegehren fordert auch kostenlose Verhütung und kostenlosen Schwangerschaftsabbruch. Aber nicht das jahrzehntealte Verlangen von Feministinnen, die Fristenlösung aus dem Strafgesetzbuch zu nehmen. Warum?

Havlicek: Österreich ist das einzige Land in Westeuropa, in dem weder der Schwangerschaftsabbruch noch Verhütung kostenlos ist. Wir sind natürlich dafür, die Regelung zu Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch zu nehmen. Uns war es jetzt aber erstmal wichtiger, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu verbessern. Im Moment ist dieser dadurch bestimmt, wo man wohnt und wie viel Geld man zur Verfügung hat. Und die kostenlose Verhütung könnte auch die Zahl der Abtreibungen verringern, im Verhütungsreport geht man von 17,5 Abtreibungen pro tausend Frauen im fruchtbaren Alter aus. Ein Drittel aller jährlichen Abtreibungen könnte durch kostenlose Verhütung verhindert werden. Wir wollten erstmal die praktische Situation für Frauen verbessern.

STANDARD: Gegenüber feministischen Initiativen wird oft Kritik laut, dass zu wenig über den weißen, heterosexuellen Mittelstandsteller hinausgeblickt und die Lebensrealitäten von Lesben, Transpersonen oder geflüchteten Frauen nicht berücksichtigt werden. Ist das Frauenvolksbegehren weißer Mittelstandsfeminismus?

Havlicek: Unsere Erfahrungen sind schon sehr unterschiedlich, und die Anzahl derer, die am Frauenvolksbegehren mitarbeiten, wird auch größer – und damit auch die Vielfalt.

STANDARD: Ist es angesichts dieser Vielfalt überhaupt noch zeitgemäß, Forderungen für "die Frauen" zu stellen?

Havlicek: Frauen werden auf einer so allgemeinen, strukturellen Ebene diskriminiert, dass wir noch sehr lange über den Faktor Geschlecht reden müssen, bis wir an die Probleme anders herangehen können. Natürlich spielen Herkunft, Religion oder Migrationshintergrund eine große Rolle – aber Geschlecht ist auch im Jahr 2017 noch der wesentlichste Faktor, der das Leben der Menschen bestimmt. (Beate Hausbichler, 2.7.2017)