Die Regierungschefs der Visegrád-Länder von links nach rechts: Robert Fico (Slowakei), Viktor Orbán (Ungarn), Beata Szydlo (Polen) und Bohuslav Sobotka (Tschechien).

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Dániel Bartha ortet gegenseitiges Misstrauen in der Visegrád-Gruppe.

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Budapest/Wien – Nicht nur im Europäischen Rat dreht sich das Vorsitzkarussell am 1. Juli um eine Station weiter. Auch in der Visegrád-Gruppe, zu der Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn gehören, übernimmt Anfang Juli stets ein neues Land die Präsidentschaft – und zwar, im Unterschied zum Sechs-Monats-Rhythmus des Ratsvorsitzes in der EU, gleich für ein ganzes Jahr.

Nach Polen ist bei den "V4" nun Ungarn am Ruder. "Das jeweilige Vorsitzland führt die V4 nicht wirklich an", sagt Dániel Bartha, Direktor des Budapester Centre for Euro-Atlantic Integration and Democracy (CEID), dem STANDARD: "Aber es bestimmt die Agenda." Das Programm der Präsidentschaft sei somit die wichtigste treibende Kraft.

Verbesserungen in der Infrastruktur

Zu den Prioritäten Budapests für die nächsten zwölf Monate zählt laut Bartha die Verbesserung der Infrastrukturanbindungen in der Region. Das gilt zum Beispiel für den Ausbau von Pipelines mit zwei Fließrichtungen, was den beteiligten Ländern mehr Sicherheit bei der Energieversorgung bringen soll.

Auch die Straßen- und Bahnverbindungen in Nord-Süd-Richtung ließen vor allem östlich von Wien zu wünschen übrig, erklärt Bartha. Dabei seien diese nicht nur für die Region selbst wichtig, sondern letztlich für die gesamte EU: "Es handelt sich um ein großes Gebiet mit großer wirtschaftlicher Bedeutung".

Gegen EU-Quote

In die Schlagzeilen gekommen ist die Visegrád-Gruppe zuletzt aber vor allem im Zusammenhang mit der Migrationspolitik. Die vier Staaten lehnen eine Verteilung von Flüchtlingen auf Basis eines von der EU beschlossenen Quotenplans ab und sind in dieser Frage immer wieder mit gemeinsamen Statements aufgetreten.

Dies könne jedoch nicht über die internen Brüche in der Staatengruppe hinwegtäuschen, glaubt Bartha. In Tschechien und der Slowakei, derzeit sozialdemokratisch geführte Länder, sei man zunehmend verunsichert über den Kurs der nationalkonservativen Regierungen in Warschau und Budapest. Polen und Ungarn seien eher bereit, in der Flüchtlingspolitik auf Konfrontationskurs mit der EU zu gehen.

"Toxische Marke"

"Immer wenn ich nach Bratislava oder Prag fahre, treffe ich auf eine Reihe von Leuten, die klar ihre Reserviertheit gegenüber der aktuellen Entwicklung bei den V4 zum Ausdruck bringen", so Bartha. Man sei dort immer offensichtlicher um Distanz zu Visegrád bemüht, das zu einer "toxischen Marke" werde.

Die Visegrád-Gruppe wurde 1991 in der gleichnamigen ungarischen Stadt an der Donau gegründet. Ursprünglich diente sie der gemeinsamen Interessenvertretung vor dem Nato- und dem EU-Beitritt, später unter anderem in Sicherheits- und Energiepolitik, Wirtschaft und Kultur. (Gerald Schubert, 1.7.2017)