Standards wie "Body & Soul" oder "Misty", aber auch Beziehungsanalyse im Schlagerstil: Helge Schneider und sein Bassist Rudi.

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Wien – Nach 300 Tagen Mord, Totschlag und Amore samt hohem C endlich: Helge Schneider in der Wiener Staatsoper. Schneider, der umtriebige Leichtmatrose im Alberner Hafen, gibt wie immer Oscar Wilde verkehrt rum: The Importance of Being Unearnest.

Kurze Infostrecke: Prof. Dr. Helge Schneider wurde als DJ RSC Anderlecht in Brandenburg geboren, dort nannten sie ihn Brandenburger Tor. Der produktive Künstler hat sieben Kinder von neuneinhalb Frauen oder auch Männern (wer weiß das schon so genau) und beherrscht zehn Länder. Und Instrumente. Dem Jazz, dieser bisweilen mit Easyness und Liberté camouflierten Bastion des Dogmatismus, gibt Herr Schneider Unberechenbarkeit, Verrücktheit und vieles mehr zurück. Gut so.

Hochkomplizierte Klangbällchen

Zuerst bieten The Max. Boogaloos kraftvollen Funk, dann wird es mit Herrn Helge menschlicher. Das Ehrenmitglied der deutschen Konditorinnung hat zwei alte Kompagnons mit im Gepäck: Rudi "The Rocket" Olbrich und Peter "The Beast" Thoms. Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand, und sein Onkel. Olbrich zupft den Bass und lächelt gern, Thoms traktiert das Schlagzeug mit Besen und gibt den Griesgram, während Helge hochkomplizierte Klangbällchen locker-fluffig in den Fazioli setzt. Es fallen Stücknamen wie "Body & Soul" (auch auf Helges neuer CD "Heart Attack No. 1" drauf) oder "Misty". Das Publikum ist entzückt.

Wie immer büxt Helge gern aus, stilistisch und auch timbretechnisch, klingt mal wie Willie Nelson und dann wie Howard Carpendale. Auf furztrockene Trompetensoli (in memoriam Miles Davis) lässt er girlandesken Gitarrenklingklang folgen. Er scheut sich nicht, die Schwierigkeiten von Paarbeziehungen im Schlagerstil zu besingen ("Wenn ich dich nicht halten kann") und breitet auf Englisch ("Listen!") intime Details aus der eigenen Schöpfungsgeschichte aus: "My papa was in my mama." Eine Geschichte, die mit einem Trugschluss endet.

Götterstimmen und Zauberfinger

Wie immer singt Helge mit 100 Götterstimmen und spielt mit Zauberfingern; was der Mann alles mit seiner Zunge anstellen kann, möchte man gar nicht wissen. Auch frisurentechnisch gibt er alles: Ein wenig Harald Martenstein trifft auf deutlich mehr Farrah Fawcett. Schönes Haar ist ihm gegeben. Und dass die gerissene Vivienne Westwood vor Jahrzehnten Helges Dresscode geklaut, entschlüsselt und aus dessen Raubkopien ein kleines Modeimperium gebastelt hat, weiß eh jeder.

Zum Glück hat der Brandenburger gute Anwälte. Zum Schluss transportiert Helge mit dem Lied "Fitze, Fitze, Fatze" gute Laune. Und ganz zum Schluss besingt er solo noch elegisch das Hoffen und Warten eines Mannes auf sein Lottoglück. Jubel für das Genie. (Stefan Ender, 4.7.2017)