"Das Wichtigste zuerst", sagt Bernhard Fink und zieht den Zipp seines Neoprenanzuges hoch: "Das ist kein Schönheitswettbewerb: Du musst drüberstehen." Er sieht mir zu, wie ich mit meinem Rückenzipp kämpfte, schnallt sich den Pull Buoy ans rechte Bein, setzt sich die Badehaube auf, schlüpft mit den Händen in die der Paddles, rückt die Schwimmbrille zurecht und klopft mir auf die Schulter: "Können wir?"

Zwei erwachsene Männer. In Neoprenanzügen. Mit Badehauben, Schwimmbrillen und Handflossen. Mit mit Gummibändern an die Außenseiten ihrer Oberschenkel gezurrten Styroporobjekten. Laufend. Mitten auf der Prater Hauptallee – an einem Samstagnachmittag. Die Leute starren uns an. "Alter Schwede", denke ich mir. Alter Schwede? Das passt.

Thomas Rottenberg

Der Reihe nach: Bernhard Fink ist 42 Jahre alt. Im normalen Leben ist er IT-Experte. Ohne "Neo" sieht der gebürtige Vorarlberger so aus, wie es zu seiner Vergangenheit passt: Surfertyp. Kitesurfer, um genau zu sein.

Nur hat das nix mit dem zu tun, was wir hier tun. Höchstens mit Finks Zugang zur Welt: freundlich und entspannt. Und mit jenem Selbstbewusstsein, um das ich Surfertypen mein Leben lang beneidet habe: Wenn einer wie Fink das Gefühl hat, das richtige (und andere nicht schädigende) Ding gefunden zu haben, ist ihm wurscht, was der Rest der Welt davon hält.

So war das, erzählt Fink, auch bei der Sache mit dem Neo und den Flossen beim Laufen: "Ich habe Bilder gesehen – und gewusst, dass ich das machen will." Dass er über seinen Job beim Sportartikellabel Head auf die Bilder stieß, hat einen Grund – war aber trotzdem Zufall.

Thomas Rottenberg

Vermutlich sollte ich aber noch einen Schritt früher beginnen: Im Sommer 2016. Da lud mich Gerti Ring nach Schweden ein. Ring ist PR-Frau in München – mit Fokus auf alles, was wilder als Bäume-Umarmen ist. Ring hatte etwas, wovon ich bis dahin nicht einmal gehört hatte. Swimrun. Wenn ich halbwegs laufen und ein bisserl schwimmen könne, so Ring, wäre ich dabei. Sie habe einen Startplatz für mich. Bei der WM. Ich sagte zu – ohne die geringste Ahnung, worauf ich mich einlassen würde.

Heute weiß ich: Dass ich im Vorjahr eine langwierig-lästige Verletzung spazieren trug, rettete mich. Weil ich den Ötillö nie geschafft hätte: "Ö till ö" ist schwedisch und heißt "Von Insel zu Insel". Der Ötillö ist das, was draufsteht: Man rennt über eine Insel, schwimmt zur nächsten, rennt drüber, schwimmt zu nächsten … und so weiter. 75 Kilometer lang. 65 zu Land, zehn im Wasser. Plus Strömung. Plus Wellen. Wassertemperatur: Elf Grad. Der Ötillö im Schärengarten vor Stockholm gilt als derzeit härtestes Ein-Tages-Ausdauerding der Welt. Zum Glück hatte ich ein ärztliches Sportverbot: Schon Zusehen war Hardcore – und infektiös: Das da, spürte ich, kann was. Das will ich.

Foto: Thomas Rottenberg

Zurück in Wien, war ich plötzlich Mitglied einer Facebook-Gruppe, die sich "Swim Run Vienna" nannte – und in der sich kaum etwas tat: Bernhard Fink versuchte ständig Leute zu motivieren, einige sagten "Ja, aber …" – und das war es dann für ein paar Wochen: Wir trafen einander kein einziges Mal.

Doch dann, diesen Spätfrühling, rief Ring wieder an: Ob ich wieder dabei sein wolle. Nicht in Schweden, sondern bei einem Vorrundenrennen. Im Engadin – übernächstes Wochenende.

Die Kombi aus Laufen, Schwimmen, Laufen, so Ring, explodiert jetzt wirklich. In Schweden ist sie eh fast Volkssport – aber auch in Deutschland, England und – das ganz besonders – in Frankreich geht es gerade los.

Indizien? Neben Head stellen mittlerweile auch andere Hersteller Swimrun-Neoprenanzüge her. In Deutschland gibt es eigene Vereine und konkurrierende Bewerbe, Workshops, Online- und klassische Shops. Wettkämpfe finden von Kroatien bis England statt.

Österreich? "Land der Berge, Land am Strome" sagt, dass die Kombi aus Traillaufen und Schwimmen hier gute, ideale Bedingungen hätte. Theoretisch.

Thomas Rottenberg

Ich sagte Ring zu. Zehn Minuten später fragte ich mich, worauf ich mich da eingelassen hatte: Ich war angemeldet. Eh "nur" für den Sprint. 15 k – das schaffe ich, habe aber dennoch Respekt: Seit dem Vorjahr habe ich zweierlei gelernt: Schwimmen und Schwimmen sind zwei Paar Schuhe. Und: Ich bin ein miserabler Schwimmer. "Na servus" war prompt das Erste, was Harald Fritz, meinem Trainer, entfuhr.

"Aber Hallo!" sagte dagegen Ed Kramer. Kramer betreibt mit Traildog Running Wiens einzigen Trailrunning-Speziallaufshop. Er weiß, wie nahe Swimrun am Trail ist – und hofft, dass das Ding in Österreich Fuß fasst. Aus Liebe zu allen Varianten des Geländelaufes. Und weil man beim Swimrun die Schuhe beim Schwimmen anlässt.

Was der Kettenhandel als "Laufschuh" verkauft, ist dafür komplett unbrauchbar. Das dämpfende, puffernde, stützende und federnde Schaumgummizeugs saugt sich voll – damit kann man weder schwimmen noch laufen: Je weniger Material, umso besser. Kramer ließ mich Schuhe von Icebug, Salming und Salomon probieren – und schickte mich dann mit einem Inov 8 zum Schwimmtraining: "Swim-what?" fragte die Elite-Triathletin Jacqueline Kallina – und lachte jedes Mal, wenn sie mich überrundete. Und die Miene des Bademeisters im Florian-Berndl-Bad in Korneuburg war ein hübscher Vorgeschmack auf das, was mir in den Tagen darauf blühen würde.

Foto: Thomas Rottenberg

"Schwimmen mit Schuhen", erklärte mein Trainingskollege Daniel eine Stunde später (ich hatte 2.000, er dann 50 Meter mit den Schlapfen gemacht), "ist, als säße dir ein zehnjähriger Bub auf der Ferse. Er drückt deine Füße nach unten – und paddelt in die Gegenrichtung."

Um dem entgegenzuwirken, krault man mit Paddles. Und klemmt sich eine Auftriebshilfe – den Pull Buoy – zwischen die Beine. Auf Deutsch: Man löst ein Problem, das man im Wasser normalerweise nicht hat, mit zwei Antworten, die dann an Land bizarr aussehen.

Weil man beim Laufen, den Pull Buoy ja irgendwo mitführen muss, schnallt man ihn an den Oberschenkel. Die Paddles baumeln vom Handrücken. Die Badehaube landet im Neo – oder bleibt auf dem Kopf. Und die Schwimmbrille … "Da musst du drüberstehen."

Thomas Rottenberg

Aber da ist noch etwas: der Neoprenanzug. Wer glaubt, da mit einem "klassischen" Tri-, Surf-, Tauch- oder gar Rafting-Teil losrennen zu können, erlebt sein blaues Wunder. Genauer: Sein wundgescheuertes Wunder. Neoprenanzüge sind die Antithese zu jedem Laufgewand.

Hier kommt Finks Arbeitgeber ins Spiel: Als in Schweden die ersten Swimrun-Events stattfanden, bastelten ein paar Lauf-Schwimmer mit ein paar Leuten von Head an deren Neoprenanzügen herum. Daraus wurden mittlerweile spezifische Swimrun-Anzüge: Dünn und flexibel in Schritt und Schultern, dick an Brust und Oberschenkeln – das gibt Auftrieb. Der hilft gegen die schlechte Wasserlage ob der Schuhe. Außerdem kann man sie vorne UND hinten öffnen: Weil Laufen im Gummi recht rasch recht warm werden kann.

Freilich: Seit Swimrun Trend zu werden beginnt, sind auch andere Hersteller am Markt.

Thomas Rottenberg

Swimrun ist ein Teamsport. Aus Sicherheitsgründen: Wenn man zwischen Inseln durchs Meer schwimmt, sollte man nicht ganz allein sein. Deshalb sind Swimrunner bei Wettkämpfen paarweise aneinander gebunden. Bei manchen Laufpassagen zahlt sich das Ableinen nicht aus. Ein Detail, das aber nicht unbedingt dazu beiträgt, die Blicke von Nichteingeweihten weniger – äh – "interessiert" zu machen.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich habe keinen Partner am Band – also hat man mir für meine Premiere im Engadin eine Partnerin zugeteilt: Josephine Kelz a.k.a. "Sunny Storm", Laufsportbloggerin aus Ulm – und so wie ich Swimrun-Novizin. Allerdings hat Sunny immerhin einen Swimrun-Workshop besucht. Von sowas hat in Ösiland noch niemand gehört …

©sunnysport.blog

Anderswo ist man noch weiter: Voriges Jahr lernte ich in Stockholm Ida Enstedt kennen. Enstedt macht die PR von Garmin Schweden und ist Läuferin und Schwimmerin. Dass sie sich gerade auf Scilly für das Ötillö-Finale qualifiziert hat, erwähne ich nur der Vollständigkeit halber.

Spannender ist, was die Mutter von zwei Buben über Swimrun als schwedischen Volks- und Familiensport zu erzählen hat:

Die "harten" Rennen mit den wilden Kerlen und Kerlinnen sind nämlich nur die Spitze eines Eisberges. Schweden gehen mittlerweile so schwimm-laufen, wie man bei uns eine Runde läuft: locker, fröhlich – ohne Druck. Erwachsene und Kinder. Ida Enstedt mit ihrem zehnjährigen Sohn Milton: "We run for a while, and when we get tired and warm, we just jump into the lake and swim. Swimming along the shore-line makes it easy to transit to run again." Das, so die 44-Jährige, sei sicherer, als Kinder allein im Teich plantschen zu lassen: "Attached with a rope I can pull him during the swim and we don’t have to worry about losing each other."

Auch beruflich hat die Schwedin den Trend im Visier: Fanden 2016 weltweit rund 250 Swimrun-Events statt, sind es heuer schon 450 in insgesamt 40 Ländern. 2017 findet erstmals mehr als die Hälfte Events außerhalb von Schweden statt – und der Altersschnitt sinkt: Lag er 2015 bei 40 Jahren, ist er knapp über 30.

Kurz: Ein wachsender Markt an der Schwelle vom Trendsetter- zum Early-Adopter-Ding.

Foto: Marcus Bjarneroth

Österreich? Nun, Österreich ist ein bisserl anders – und so wirklich weiß keiner, warum: Das Material gibt es auch hier. Bei Schwimmsport Steiner etwa hängen ein paar einsame Swimrun-Neos. Das Interesse an ihnen ist enden wollend.

Während anderswo Interessierte längst den Überblick über unterschiedliche Renn-Serien oder Events verloren haben, wissen hierzulande nur sehr Wenige, dass es am 26. August in Waidhofen an der Ybbs einen Riverthlon geben wird. "Erfunden" (so die Veranstalter) von der lokalen Wasserrettung – obwohl es sich exakt um das handelt, was im Rest Europas längst angekommen ist: einen Swimrun-Wettkampf.

Wobei es unfair ist, die Waidhofener zu belächeln: Die tun da wenigstens was. Im ach so weltstädtischen Wien wurden Bernhard Fink und ich angeschaut, als kämen wir vom Planeten Plemplem aus der Galaxie der Durchgeknallten – und das sogar von Leuten, die selbst nicht ganz der Business-Norm entsprechen: "In welcher Mission seid denn ihr unterwegs?", fragte etwa STANDARD-Redakteurin Maria von Usslar, der wir bei "Tanz durch den Tag" über den Weg liefen.

Foto: Thomas Rottenberg

Nur: Was andere sagen, ist mir vollkommen wurscht. Und Bernhard Fink zum Glück auch. Denn die knapp 14 Kilometer (zwölf an Land, zwei im Wasser), die wir da zurücklegten, gehören zu den lustigsten, abwechslungsreichsten und schönsten Lauferlebnissen meines Lebens.

Davon will ich mehr – und es ist mir sowas von egal, wie ich dabei aussehe, was sich die Leute denken oder was sie mir zu- oder nachrufen.

Denn Bernhard Fink hat vollkommen recht: "Da musst du drüberstehen." (Thomas Rottenberg, 5.7.2017)


Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die erwähnte Ausrüstung wird für den Event von den Herstellern zur Verfügung gestellt. Die Reise zum Ötillö im Engadin ist eine Einladung des Veranstalters.


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