Die Vereinten Nationen – hier ein Blauhelm aus Guatemala in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince – überwachten auch die Vorbereitungen auf die Präsidentschaftswahl 2015.

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Port-au-Prince/Puebla – Der Einzug 2004 fand vor hunderten von Kameras statt, der Abzug der UN-Blauhelme dieser Tage ist eher eine stille Veranstaltung. Von den 18 Ländern, die sich ursprünglich an der Stabilisierungsmission für Haiti (Minustah) beteiligten, haben die meisten nur noch ein paar Dutzend Soldaten vor Ort. Langsam wird es still um die Containerstadt, die nach dem schweren Beben im Jahr 2010 provisorisch am Flughafen errichtet wurde. Bis Oktober soll der letzte Blauhelm Haiti verlassen haben. Fortan wird eine 1200 Mann starke UN-Polizeitruppe die Sicherheitskräfte unterstützen; zivile Berater sollen in Sachen Justizreform und Menschenrechte tätig sein.

Insgesamt kostete die Mission 7,3 Milliarden US-Dollar. Wirbelstürme, Krisen, Erdbeben, eine Choleraepidemie und mehrere turbulente Wahlen hat die Minustah in den 13 Jahren ihres Bestehens auf der Karibikinsel durchgemacht. Die Bilanz ist mager, der versprochene Quantensprung in eine bessere Zukunft ist ausgeblieben. Haiti steht nun vor der großen Herausforderung zu beweisen, dass es das Land allein besser schafft – so wie es rechte Nationalisten und linke Populisten behaupten, die beiden politischen Lager, deren Konfrontation das Land seit der Demokratisierung Ende der 1980er-Jahre immer wieder in Krisen stürzt.

"Haben die Schnauze voll"

Vor einigen Tagen kam hoher Besuch aus New York nach Port-au-Prince. UN-Delegierte, Vertreter der haitianischen Regierung und der Zivilgesellschaft wollten einen möglichst sanften Übergang vorbereiten. Doch dann kam es wie so oft bei diesen Treffen: Regierungsmitglieder ergingen sich in warmen Reden, die Uno forderte, die Haitianer müssten selbst mehr in Bildung und Gesundheit investieren, in eine unabhängige Justiz und ein glaubwürdiges Wahlsystem, und die Zivilgesellschaft forderte Entschädigungen – für die von UN-Blauhelmen eingeschleppte Cholera, an der bisher mehr als 9000 Menschen starben, für die Kinder, die die Blauhelme in Haiti gezeugt hatten, und für ihre Verstrickung in Kinderprostitution im Schutze ihrer Immunität.

"Wenn sie uns nur ein Pflästerchen bringen, können sie gleich wieder verschwinden", sagte die frühere Premierministerin Michèle Pierre-Louis erbost: "Davon haben wir die Schnauze voll." Was für die Geldgeber undankbar klingen mag, ist nicht ganz unberechtigt. Von der nach dem Beben großzügig zugesagten Hilfe von 13 Milliarden US-Dollar wurden nur sechs Milliarden ausgezahlt.

Ein Großteil ging für Logistik drauf oder wurde internationalen Bau- und Beratungskonzernen in den Rachen geworfen. Über die haitianische Regierung wurden nicht einmal zehn Prozent der Hilfe abgewickelt. Alle NGOs wollten Schulen und Krankenhäuser bauen, keiner in den – wenig werbeträchtigen – Aufbau des Rechtsstaates investieren. Letztlich scheiterte selbst der Wohnungsbau für die 1,5 Millionen Opfer grandios – am haitianischen Katasterwesen. Bis heute gibt es viel mehr Landtitel als Fläche, ein Resultat der grassierenden Korruption in den Behörden. Ein Riesenproblem, das auch die wirtschaftliche Entwicklung des bitterarmen Landes bremst.

Ein weiteres Problem ist, dass die Kriterien von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in dem von Clandenken bestimmten Land an ihre Grenzen stoßen. Politische Machtkämpfe stürzen das Land immer wieder ins Chaos – vor allem bei Wahlen. Die letzten wurden aus taktischen Gründen und wegen institutioneller Blockaden knapp zwei Jahre lang verzögert und waren dann von Korruptionsvorwürfen überschattet.

Ärgeres Chaos verhindert

Freilich brachte die Minustah auch Fortschritte. Vor allem verhinderte sie, dass die politischen Konflikte gewaltsam eskalierten. In den Tagen nach den Erdbeben spielte die selbst schwer getroffene Minustah – ihr Missionschef und rund 100 Mitarbeiter starben in den Trümmern – eine wichtige Koordinationsrolle für den völlig kollabierten Staat und verhinderte ein noch schlimmeres Chaos.

Die Minustah brachte vor allem Sicherheit. Nach anfänglichem Zögern griffen die Blauhelme gegen kriminelle Gangs durch. Entführungen und Überfälle gingen deutlich zurück. Mit zehn Morden auf 100.000 Einwohner gehört Haiti heute zu den friedlicheren Ländern Lateinamerikas. Die Justiz aber blieb eine Achillesferse. Mehr als 90 Prozent der Straftaten bleiben ungesühnt; Lynchjustiz ist daher weit verbreitet. (Sandra Weiss, 5.7.2017)