"Al-Jazeera ist in der nahöstlichen Medienlandschaft die lästige Fliege". Diese Analyse äußerte die Nahost-Expertin Karin Kneissl am Dienstagabend im APA-Interview. Eine der Forderungen Saudi-Arabiens im Katar-Konflikt ist die Abschaltung des katarischen Fernsehsenders Al-Jazeera, der 1996 den Sendebetrieb aufgenommen hat.

Der Sender hätte sich bereits in seinen frühen Jahren um eine kritische und ausgewogene Berichterstattung bemüht. Dies habe einen Kontrast zu den anderen Sendern der Region dargestellt, die eher "langweilige Hofberichterstattung betrieben und die Königshäuser lobten", so die Expertin. Die Berichterstattung von Al-Jazeera sei darum für die Königshäuser der arabischen Welt ärgerlich, da kritisch über Situationen und Ereignisse der herrschenden Familien berichtet werde.

Medienkrieg in Saudi-Arabien

Mittlerweile gehe es jedoch um die Deutungs- und Informationshoheit im Nahen Osten. Saudi-Arabien hatte bereits früh die Macht von Al-Jazeera erkannt und versucht, mit dem Fernsehsender Al-Arabija dem Konkurrenten aus Katar beizukommen. Doch dieser konnte sich mit dem Einfluss Al-Jazeeras nicht messen – Saudi-Arabien verlor den Medienkrieg.

Ägypten und die Staaten des Golfkooperationsrates (Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jemen und Bahrain, abgekürzt GCC, Anm.) sehen laut Experten im Rahmen dieses Ultimatums nun die Chance, sich des störenden Fernsehsenders zu entledigen. Dass Al-Jazeera der Hauptgrund für das Ultimatum ist, wie dies der Soziologe, Medienwissenschafter und Al-Jazeera-Experte Sam Cherribi proklamiert, hält Kneissl indes für übertrieben. Es gehe vielmehr darum, dass der Sender seine Deutungshoheit in der Region verliere. Der Hauptgrund ist und bleibt jedoch laut Kneissl der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, mit dem Katar Beziehungen pflegt.

Nähe zum Aktivismus

Für das kleine Katar ist der Sender ein wichtiges Machtinstrument, die arabische Version von Al-Jazeera wird täglich von ca. 40 bis 50 Millionen Menschen angesehen. Kneissl erklärte, dass sich der Sender jedoch auch von der ausgewogenen Berichterstattung entfernt habe. Bereits im Irak-Krieg 2003 sei dem Sender tendenziöse Berichterstattung vorgeworfen worden. Während des Arabischen Frühlings habe er die Grenze von Berichterstattung zum Aktivismus überschritten, denn er habe die Revolutionären klar unterstützt, so Kneissl.

Der enorme Einfluss des Senders während des Arabischen Frühlings ist laut Kneissl mit seinen umfassenden Live-Berichterstattungen direkt von den Orten des Geschehens, wodurch er zur Hauptinformationsquelle für den arabischen Raum avancierte, zu erklären. Einige nordafrikanische Staaten hatten darum damals versucht, Al-Jazeera zu sperren. Katar wisse um die enorme Reichweite des Senders und habe verstanden, dass so auf die politischen Entwicklungen erheblicher Einfluss genommen werden könne, so Kneissl.

Dass die GCC und Ägypten nun die Abschaltung von Al-Jazeera fordern, gehe offenbar auf den Thronfolger und Kronprinzen von Saudi-Arabien, Mohammed bin Salman, zurück, der Ende Juni 2017 seinen Vorgänger Mohammed ibn Naif ersetzt habe, so Kneissl. Der Thronfolger gilt als impulsive Persönlichkeit. Laut Kneissl handelt es sich bei der Situation im saudischen Königshaus um eine "Palastrevolte": der Kronprinz habe die eigentliche Macht, der König sei ihm hörig.

Al-Jazeera und das Königshaus

Die Expertin erklärte weiter, dass im saudischen Königshaus derzeit einschneidende Entwicklungen stattfänden: Der ehemalige Kronprinz Mohammed ibn Naif steht laut New York Times vom 28. Juni unter Hausarrest, der von Mohammed bin Salman verhängt worden sein soll. "Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) warnte bereits in einem Bericht, der Anfang Dezember 2015 an die Presse gelangte, vor der zunehmend interventionistischen Politik in Saudi-Arabien", berichtete Kneissl. "Er prognostizierte bereits die Situation, die wir nun haben: der Kronprinz könnte sich beim Versuch überreizen, zu Lebzeiten seines Vaters alle Macht in seinen Händen zu monopolisieren", führte sie aus.

Die Berichterstattung von Al-Jazeera zu dieser und möglichen weiteren Episoden könne für das saudische Königshaus kaum schmeichelhaft ausfallen, so Kneissl weiter. Wegen der enormen Reichweite Al-Jazeeras wolle Saudi-Arabien, das sich als Führer der anti-iranischen GCC ansehe und somit seine Führungsrolle mit einem starken Königshaus untermauern müsse, den Sender unschädlich machen.

Stellvertreterkonflikt gegen den Iran

Durch den jüngsten Besuch von US-Präsident Donald Trump in Saudi-Arabien, bei dem auch ein Waffendeal über knapp 110 Milliarden Dollar abgeschlossen wurde und weitere Deals über 350 Milliarden Dollar in den kommenden zehn Jahren angekündigt wurden, sieht sich Bin Salman laut Kneissl nun ermutigt, durch einen Stellvertreterkonflikt mit Katar gegen den Iran vorzugehen. Ähnliches sei im Jemen passiert, in dem der Iran ebenfalls präsent sei: Das Land sei in kürzester Zeit von Saudi-Arabien so stark militärisch verwüstet worden, dass sogar die Schäden in Syrien kein Vergleich seien.

Auf die Frage, ob sie eine militärische Eskalation der Katarkrise für wahrscheinlich halte, gab sich Kneissl pessimistisch: Diese sei möglich, da Saudi-Arabien nun durch die Unterstützung Amerikas und Israels, das bereits im saudisch-arabischen Luftraum Übungen durchführte, sich für einen solchen Konflikt gerüstet sehe. Dabei würden wohl zunächst alle Verbündeten des Iran in der Region ausgeschaltet, bis schlussendlich ein direkter Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien bevorstehe. Vor allem durch den impulsiven saudischen Thronfolger sei diese Möglichkeit leider durchaus wahrscheinlich, so Kneissl. (Martin Auernheimer, APA, 5.7.2017)