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Anaheim, sonst nur bekannt für sein Disneyland, soll jetzt vorbildlich zur "City of Kindness", zur Stadt der Güte werden.

Foto: Reuters

Was Tom Tait unter guten Taten versteht, hat er exemplarisch in seinem Büro dokumentiert. Große Schwarzweißfotos hängen dort an der Wand. Eines zeigt einen Jungen, auf dem Kopf eine Wollmütze, der sich neben einen Rollstuhl gesetzt hat, um die Hand eines behinderten Mädchens zu halten. Ein weiteres einen Feuerwehrmann, die Riemen seines Helms nach dem Löscheinsatz gelockert, der neben einem Kinderwagen kniet und einem Baby zulächelt.

Seit Tait der Bürgermeister Anaheims ist, schmückt sich der Ort, gegründet vor 160 Jahren von Einwanderern aus Bayern, mit dem Titel "City of Kindness". Stadt der Güte, der Liebenswürdigkeit, der guten Taten. Für andere den Müll wegbringen, den Nachbarn fragen, ob er etwas braucht, sich auf dem Schulhof jemandem zuwenden, den die anderen meiden. Kleine Gesten, sagt Tait und erzählt, dass er für die Schulen das Ziel ausgab, eine Million gute Taten zu vollbringen, zu zählen von den Lehrern. Mal wurden Spenden gesammelt, damit auch Teenager aus armen Verhältnissen festlich gekleidet am Abschlussball teilnehmen konnten. Mal einfach Zettel mit "Hab einen tollen Tag!" verteilt.

City of Kindness, man mag das für einen Werbegag halten, zumal Anaheim mit seinen 350.000 Einwohnern, eine Pendlerstadt im Schatten der Metropole Los Angeles, sonst nur selten für Furore sorgt. Die City Hall ist ein x-beliebiger Würfel mit Glasfassade, und auch der Blick aus Taits Büro im obersten Stockwerk ist nicht wirklich spektakulär. Draußen das typisch amerikanische Schachbrettmuster, die Straßen schnurgerade Linien, die Häuser flache, eintönige Klötze.

Regenbogen als Inspiration

Also, die Nächstenliebe. Als sich Tait 2010 um das Amt des Bürgermeisters bewarb, tat er es mit dem Slogan "City of Kindness". Auf die Idee brachte ihn Natasha Jaievsky, die im Alter von sechs Jahren bei einem Autounfall ums Leben kam. Vor ihrem Tod hatte sie viel gezeichnet, etwa einen Regenbogen, unter dem steht: "Mein Wunsch ist es, Menschen zu helfen". Natashas Vater, ein aus Argentinien eingewanderter Arzt, klebte zum Andenken Plakate, auf denen stand, dass Herzensgüte anstecken möge. Tait beschloss, es zum Motiv seines Wahlkampfs zu machen.

"Ich hatte keine Ahnung, wie die Leute reagieren würden. Ehrlich gesagt hatte ich Angst, dass sie mich auslachen könnten", erinnert sich der hochgewachsene Mann. Er sei nie ein großer Redner gewesen. Was Tait, Firmenerbe eines Ingenieurbetriebs mit 150 Beschäftigten, allerdings gut kann, ist Organisieren. Deshalb haben sie ihn schon in den Neunzigerjahren als Ratsherrn in die City Hall geholt, zu einer Zeit, als Anaheim in den Bankrott gerutscht war und die Stadtverwaltung nüchterne Technokraten nötiger brauchte denn je. Später fanden die Bürger Gefallen daran, wie der eher zurückhaltende Tom Tait übers Freundlichsein sprach.

Anaheim, erklärt er seinen Ansatz, ist eine Stadt von Einwanderern, jeder zweite Bewohner ein Immigrant. Die Leute stammen aus verschiedenen Weltgegenden, aus verschiedenen Kulturen, der Humor ist verschieden, "man spricht erst mal keine gemeinsame Sprache", sagt Tait. "Doch menschliche Güte ist eine Sprache, die jeder versteht." Und wo es Bindungen gebe, entstehe das, was er soziale Infrastruktur nenne. Wo die Leute einander kennen, hätten Einbrecher kein so leichtes Spiel. Wo man versuche, Leute aus der sozialen Isolation zu holen, sinke die Drogenabhängigkeit. Wo Menschen einander helfen, fügt Tait hinzu, könne eine Kommune Geld sparen.

Sparzwang in Anaheim

Anaheim muss in der Tat kräftig sparen, allein schon die in besseren Zeiten zugesagten, üppig bemessenen Pensionen, die es seinen Angestellten im Ruhestand zu zahlen hat, zwingen dazu, anderswo den Rotstift anzusetzen. Irgendwann erfuhr der Dalai Lama von der City of Kindness und lud den Mayor ein, seinen indischen Wohnsitz zu besuchen. Seitdem, kann man sagen, ist der Geistliche Taits bester Verbündeter.

Vor ein paar Monaten, als es im Rathaus um die eher unfreundliche Sprache Donald Trumps ging, trat der Bürgermeister auf die Bremse. Zur Debatte stand eine Resolution, in der die "spaltende Rhetorik" des Präsidenten verurteilt werden sollte. Tait, seines Zeichens Republikaner, stimmte dagegen. Aus der großen Politik, sagte er, möge sich die Lokalverwaltung raushalten, es gebe auch sonst genug zu tun. Spricht man ihn heute auf Trump an, zitiert er den Dalai Lama: In jedem Menschen schlummere Güte. "In diesem Fall", sagt Tait, "wünschte ich mir nur, dass mehr davon sichtbar wird." (Frank Herrmann aus Anaheim, 8.7.2017)