Vorlesen, plaudern, kochen, bei der Hygiene helfen: Der Beruf der 24-Stunden-Betreuerin bedeutet vor allem Verfügbarkeit rund um die Uhr. Wichtig ist dabei, dass Klientin und Betreuerin harmonieren. Bei Rosina Manica und Maria Okruhlicova in Gerasdorf funktioniert das gut.

Foto: Christian Fischer

Die einen würden sie in der bestehenden Form am liebsten ganz abschaffen, die anderen halten sie für ein ausbaufähiges Zukunftsmodell: Die Rede ist von der 24-Stunden-Betreuung.

Ein Konzept, das hierzulande bei einer durchwegs wohlhabenderen Mittelschicht beliebt ist. Knapp 25.300 Menschen beziehen für diese Art der Betreuung Förderung (wie hoch die Zahl jener ist, die 24-Stunden-Betreuung ohne Förderung in Anspruch nehmen, wird nicht erhoben), insgesamt eine Minderheit, Tendenz in den letzten Jahren steigend. Auch der Zustrom an Arbeitswilligen aus östlichen Nachbarländern ist – Lohngefälle sei Dank – trotz schlechter Bezahlung ungebrochen. Gut 85.000 haben hier mittlerweile ein Gewerbe angemeldet, der Großteil Frauen aus Rumänien und der Slowakei, 2014 waren es halb so viele.

Und weil der Bürokratiedschungel für Nichtösterreicher besonders schwer durchschaubar, ein Gewerbeschein zu lösen ist, Versicherungsfragen zu klären, Steuerangelegenheiten zu erledigen sind und aufseiten der Suchenden so etwas wie ein neues Familienmitglied zu finden ist, blühen auch die Vermittler auf. Der Markt floriert. Fast 700 tummeln sich in diesem Feld. Auch die großen NGOs wie Caritas, Hilfswerk, Volkshilfe und Rotes Kreuz mischen kräftig mit.

Warum dann radikal ändern, wie es etwa die Organisatorinnen des Frauenvolksbegehrens vorschlagen? Tatsächlich ist es eine aberwitzige Konstruktion, die Österreich da geschaffen hat. Die Arbeitgeber sind einerseits Agenturen, andererseits Familien, Unternehmer sind sowohl die Agenturen als auch die Betreuerinnen. Bezahlt werden Tagsätze zwischen 30 und 80 Euro, von Mindestlohn, bezahltem Urlaub, 13. und 14. Gehalt können die Frauen träumen. Sozialwissenschafter zeichnen ein unschönes Bild: legalisierte, geschlechtsspezifische Ausbeutung migrantischer Hausangestellten durch Komplizenschaft von Wohlfahrtsstaat und den Nutzern der ausbeuterischen Dienstleistungen.

Regulierungsversuch

Hat das 24-Stunden-Modell so überhaupt Zukunft? Kai Leichsenring hat darauf keine eindeutige Antwort. Der Direktor des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung in Wien ist mit dem System gut vertraut. Immerhin sei Österreich das einzige Land Europas, "das zumindest versucht hat, ein bisschen zu regulieren. In Deutschland sind meist Polen dank Entsenderichtlinie bei der Agentur in Polen angestellt und dort versichert. Man putzt sich ganz ab."

Die Entwicklung des Pflegesystems sei am Anfang. Die Finanzierungsfrage ist nach jahrelangen Debatten ungelöst. Warum? Auch deswegen, weil "Familie gerade in Österreich mit einem besonders konservativen Familienbild überhöht" wird, sagt Leichsenring. Die lange gratis erledigte Frauenarbeit wird vermehrt ausgelagert – und zumindest schlecht bezahlt.

Margit Hermentin argumentiert pragmatisch. Die Frauen verdienen sehr viel mehr als daheim. Und vor der Legalisierung 2006 war alles viel schlimmer. Damals hat sie selbst ihre Großmutter betreut und dann betreuen lassen. Zu häufig hatte sie ihr Job ins Ausland geführt. Pflegekräfte, wie sie umgangsprachlich genannt werden, waren da so gelitten wie Bauarbeiter am Arbeitsstrich und illegal. Kam Besuch, wurden die Damen flugs im Kabinett versteckt. Heute sind sie quasi halbselbstständig und pflichtversichert. Hermentin hat 2012 selbst eine Agentur gegründet. "Ich würde das heute wieder machen", sagt sie und erzählt von den Bemühungen, die Qualität zu verbessern. Die Wirtschaftskammer habe einiges auf die Beine gestellt. Zertifizierung, Ausbildungsakademien. Hermentin sitzt in einem entsprechenden Gremium in Niederösterreich. "Wenn sich alle an die Regeln halten, sind wir einen guten Schritt weiter", sagt sie. Derzeit ist man davon meilenweit entfernt, sagt aber die Ökonomin und Frauenforscherin Gudrun Biffl von der Donau-Universität Krems. Manche Agenturen würden sich damit begnügen, Kunden mit niedrigen Sätzen zu keilen und beiden Seiten in intransparenter Weise, für unterschiedliche, nicht vergleichbare Leistungen Geld abzuknöpfen. Seit eineinhalb Jahren gelten für die Vermittler neue Regeln. So sind seither schriftliche Verträge Pflicht – zwischen allen Beteiligten. Außerdem wurden Grundregeln eingeführt. Gebracht hätten diese "No-na-Regeln ohne Verbindlichkeit" nichts, urteilt die Grüne Judith Schwentner.

Jene Kräfte, die von Hermentin vermittelt werden, bekommen als Tagsatz 55 bis 120 Euro, je nach Schwere des Falles. Auch die eine oder andere männliche Kraft vermittelte sie – und den einen oder anderen Österreicher: "Die bekommen auch mehr bezahlt." Der Tagsatz hängt von den finanziellen Möglichkeiten des Auftraggebers, aber auch von seiner Willigkeit ab. Den Mut, ein höheres Salär auszuhandeln, haben viele nicht. Deswegen werden auch 30 Euro bezahlt, zahlen sich viele die Fahrtkosten selbst und müssen oft einen von der Agentur organisierten Fahrtdienst nutzen. Manche Agenturen kassieren monatliche Gebühren von den zu Betreuenden und den Betreuenden oder heben verschiedene Spesen ein. Es fehle auch an Kontrolle, finden Hermentin und Schwentner unisono.

5000 Hausbesuche werden jährlich von Bezirksbehörden durchgeführt. "Das funktioniert" laut Sozialministerium. "Weil nur nach Anmeldung kontrolliert wird, da ist dann alles wie im Bilderbuch", kontert Schwentner.

Für Gudrun Biffl ist das an sich gute System falsch gestrickt. Dass die wichtige Matching-Aufgabe – wer passt zu wem – auch privaten Agenturen, die voraussetzungslos gründen kann, wer mag, überlassen wird, hält sie für grundverkehrt: "Die müssten genau erfasst, akkreditiert und zertifiziert werden. Wie bei einer Tagesmutter müsste es einen Kriterienkatalog geben." Statt dies als freies Gewerbe zu organisieren, schlägt sie ein eigenes Gewerbe, etwa soziale Dienstleistung, vor, organisiert als Non-Profit-Organisation. "Wettbewerb für die großen Wohlfahrtsträger braucht es schon."

Nachbarschaftshilfe

In Fachkreisen elektrisiert derzeit eine andere Idee: "Buurtzorg", gegründet vom Holländer Jos de Blok. 10.000 Pflegende in 850 kleinen Teams organisieren Betreuung für 70.000 Patientinnen, darunter Demenzkranke oder chronisch Kranke. Führungskräfte gibt es "null". Das Konzept basiert auf professionellen Netzwerken in einem kleinen Radius. Hierzulande hätte es keine Chance, sagt Leichsenring: "Ohne Primary-Healthcare-Center funktioniert das nicht." Österreich hat jetzt einmal zwei. Ob aus den weiteren angekündigten etwas wird, bleibt abzuwarten. Die Beharrungskräfte sind bekanntlich stark. (Regina Bruckner, 9.7.2017)