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Dass in Brüssel die britischen Flaggen bald eingefahren werden, scheint sicher. Wer dann Premier ist, nicht.

Foto: Reuters / François Lenoir

Vielleicht liegt alles ja wirklich nur am ungewöhnlich heißen englischen Sommer. Der macht die Kühlung alkoholischer Getränke schwierig, weshalb auf den Partys konservativer Aktivisten "zu viel warmer Prosecco" ausgeschenkt wird, wie Theresa Mays Stellvertreter Damian Green beobachtet hat. In diesem bedauerlichen Aggregatzustand verführt das vielgeliebte Getränk vom Kontinent seine Konsumenten schnell zu losem Gerede, weshalb plötzlich viele Parteifreunde am Sessel der Premierministerin sägen.

So weit das Green'sche Gesetz der Prosecco-Dynamik, das zum Wochenbeginn zur Belustigung der Politszene von Westminster beitrug. Dass es um die wackelige Regierung der Premierministerin nicht gut bestellt ist, lässt sich aber auch durch die fröhlichsten Schaumweinwitze nicht leugnen. Tief sitzt der Schock in der machtgewohnten Partei über die leichtfertig verspielte Unterhaus-Mehrheit, über den schäbigen Milliardendeal mit den nordirischen Unionisten, über den Umfragenhöhenflug der Labour-Opposition mit deren Vorsitzendem Jeremy Corbyn. Hinzu kommt, dass May nicht in der Lage schien, auf die grundlegend veränderte Situation angemessen zu reagieren. Auch in der eignen Partei bezeichnen Abgeordnete die Premierministerin schon als "wandelnde politische Leiche".

Und so wird froh über die Nachfolge spekuliert. Im Mittelpunkt steht dabei meist David Davis. Vom Brexit-Chefunterhändler weiß man, dass er hinter vorgehaltener Hand stets die eigenen Vorzüge rühmt, wenn er sich auch in der Öffentlichkeit brav zur Regierungschefin bekennt.

May selbst tritt nun den Prosecco-Spekulationen mit einem Kurswechsel entgegen. Ausdrücklich will sie die anderen Parteien im Unterhaus heute, Dienstag, zwei Tage vor ihrem einjährigen Amtsjubiläum, zur Mitarbeit auffordern: "Stellen Sie Ihre Meinungen und Ideen vor, mit denen wir die Probleme unseres Landes beheben können", heißt es in einem vorab verbreiteten Manuskript. Schließlich seien Debatte und Diskussion die Kennzeichen der parlamentarischen Demokratie.

Kein Wahrheitsmonopol

Medien und Opposition reagieren höhnisch. Die Premierministerin "bettelt um Hilfe", schreiben konservative wie liberale Zeitungen, prominente Labour-Politiker winken ab. Dass "keine Partei ein Monopol auf die Wahrheit" habe, wie May-Vize Green sagt, gehört zwar in die Kategorie der Binsenwahrheiten, war aber gerade kein Kennzeichen des Regierungshandelns im vergangenen Jahr.

Mays Brexit-Strategie dient Kritikern als bestes Beispiel für die Unglaubwürdigkeit des neuen Wunsches nach überparteilicher Zusammenarbeit. Zunächst verwendete Downing Street lange Wochen und teures Geld darauf, dem Parlament ein Mitspracherecht bei der Frage zu verweigern, ob und wann der Artikel 50 des Lissabonner Vertrags ausgelöst werden sollte. Obwohl das Parlament mit Vier-Fünftel-Mehrheit zustimmte, rief sie Neuwahlen aus mit der fadenscheinigen Begründung, die anderen Parteien wollten den Brexit boykottieren. Als der erhoffte Erdrutschsieg ausblieb, tat May zunächst so, als habe sich die politische Situation nicht grundlegend geändert.

Mittlerweile verbünden sich konservative und Labour-Abgeordnete offen in der Hoffnung, Mays harten Brexit-Kurs samt Austritt aus Zollunion und Binnenmarkt aufzuweichen. Die Kündigung der Euratom-Verträge hält selbst der Brexit-Vorkämpfer Dominic Cummings für "inakzeptablen Unsinn".

Viel spricht zum Ende des ersten Amtsjahres dafür: Mays Probleme reichen deutlich tiefer als schlecht gekühlter Prosecco. (Sebastian Borger aus London, 10.7.2017)