Seit Jahrzehnten pilgern Anhänger zum Grabmal Benito Mussolinis in Predappio – viele recken dabei den Arm zum "Römischen Gruß".

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Die Idee ist so einleuchtend wie einfach: Wenn es in Italien schon so viele Leute gibt, die eine Geschichtslektion nötig haben, dann erteilt man sie ihnen am besten dort, wo sie sich so gern zusammenrotten: in Predappio, südöstlich von Bologna, wo der "Duce" (Führer) geboren wurde und wo er seine letzte Ruhestätte gefunden hat. "Es ist nun einmal so: In Predappio atmet alles den Geist Benito Mussolinis", sagt Bürgermeister Giorgio Frassineti. Man habe sich das nicht ausgesucht, aber man könne es leider auch nicht ändern. Aber man könne versuchen, "aus dem Schlechten etwas Positives für die Zukunft zu gewinnen" – indem man etwas schaffe, was dazu beitragen könnte, dass sich das Böse nicht mehr wiederholt.

Die Idee, ein "Faschismus-Museum" zu errichten, beseelt den sozialdemokratischen Bürgermeister – wobei Frassineti die Bezeichnung "Museum" nicht mag: "Das hätte einen deplatzierten, feierlichen Beiklang." Stattdessen soll ein "Dokumentationszentrum für die Geschichte des 20. Jahrhunderts" entstehen, in dem die Verbrechen des Faschismus, die Deportationen, die Rassengesetze, der Kriegseintritt Italiens an der Seite von Adolf Hitler thematisiert werden – also Dinge, die von den Duce-Nostalgikern ausgeblendet werden. "Aufklärung ist notwendiger denn je", betont Frassineti.

"Pilgerfahrt" zum Duce-Grab

Seit 1957 die sterblichen Überreste Mussolinis per Parlamentsbeschluss nach Predappio übergeführt wurden, erlebt das 6000 Einwohner zählende Städtchen regelmäßig Aufmärsche Rechtsextremer. Die meisten Mussolini-Fans kommen jeweils am 28. Oktober, dem Jahrestag des "Marsches auf Rom" im Jahr 1922. Aber auch Mussolinis Geburtstag (29. Juli 1883) und sein Todestag (28. April 1945) sind beliebte Daten.

Die wichtigste Etappe der "Pilgerreisen" ist die Familiengruft. Diese liegt abgelegen in einem Tal. Weil kein Schild den Weg weist, gestaltet sich die Suche auf dem ziemlich großen Monumentalfriedhof schwierig. Schließlich ist die Krypta gefunden, in der sechs weiße Marmorsarkophage stehen. In ihnen ruhen Benito Mussolini, seine Gattin Rachele sowie ihre Kinder Bruno, Vittorio, Romano und Annamaria. An den Wänden sind viele Tafeln angebracht. "Duce, immer mit Dir", schrieben die "Kameraden" von Viterbo im Jahr 2012. "Duce, Deine Ideale werden nie vergehen", geloben die "Kameraden aus Otranto".

Vor dem Sarkophag steht andächtig ein Ehepaar in den mittleren Jahren. "Ja, ich bin ein Bewunderer Mussolinis", sagt der Mann. "Italien bräuchte wieder einen wie ihn – nur ein starker Mann könnte Italien wieder aufräumen. Diesen ganzen Dreck hätte es beim Duce nicht gegeben." Damals habe die Regierung, anders als heute, noch etwas getan für das Volk: "Sümpfe wurden trockengelegt, neue Städte gebaut, die staatliche Gesundheitsversorgung und die Rente für alle eingeführt." Aber der Krieg, klar, der sei ein Fehler gewesen, "eine Verrücktheit".

Die Zeit sei gekommen, dass man sich mit dem Faschismus nicht nur in den Universitäten beschäftige, betont hingegen Bürgermeister Frassineti. Predappio sei "geeigneter als jede andere Gemeinde", dafür eine Plattform zu schaffen. Tatsächlich ist der Ort schon heute eine Art Open-Air-Museum: Neben dem Geburtshaus und der Gruft steht an der Piazza die "Casa del Fascio", in der das Dokumentationszentrum untergebracht werden soll; die Hauptstraße ist flankiert von Bauten, mit denen sich der Faschismus als modern und fortschrittlich zelebrieren wollte.

"Völlig verzerrtes Bild"

Der Geist des Duce weht auch durch den Palazzo Varano, den Sitz der Gemeindeverwaltung: Hier hatte der Duce seine Jugend verbracht. Das heutige Büro des linken Bürgermeisters war einst das Schlafzimmer Benitos und seines jüngeren Bruders Arnaldo; auf dem alten Sessel, auf dem Frassineti Platz nehmen lässt, war einst auch der junge Mussolini gesessen.

Die Souvenirläden mit Duce-Büsten, Faschismusdevotionalien, Hakenkreuzen und Hitlers Mein Kampf sind Frassineti ein Gräuel. Das "völlig verzerrte Bild" Predappios stört Frassineti zutiefst. "Die ganze Welt denkt, wir seien Faschisten – dabei sind wir solidarische und arbeitsame Leute: In unserer kleinen Gemeinde haben wir 37 sozial tätige Vereine und mehr als 600 Betriebe", betont der Bürgermeister. Und er erinnert daran, dass alle seine Amtsvorgänger nach dem Krieg ebenfalls Kommunisten und Linke waren.

"Predappio ist mit dem schweren Erbe Mussolinis jahrzehntelang komplett alleingelassen worden, wir wurden richtiggehend isoliert, auch von der Regierung in Rom", betont Frassineti. "Unsere Gegner nannten sich Vorurteil, Banalisierung und Verdrängung der Geschichte."

Durch das Museumsprojekt habe sich dies geändert: "Wir sind nicht mehr allein, wir werden von Universitäten und einer hochkarätigen Historikerkommission unterstützt." Predappio, sagt Frassineti, wolle "ein Punkt auf der europäischen Landkarte werden, der helfen soll, die Tragödien des 20. Jahrhunderts zu verstehen." Ein heller, aufklärerischer Punkt, kein anrüchiger mehr. (Dominik Straub, 12.7.2017)