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Studenten gegen Peking: Die Regenschirmbewegung in Hongkong macht sich für demokratische Reformen stark.

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Rimsky Yuen bei einer Pressekonferenz in Hongkong am 7. November 2016.

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STANDARD: Vor wenigen Tagen jährte sich die Übergabe Hongkongs von Großbritannien an China zum 20. Mal. Tausende warfen Peking bei dieser Gelegenheit auf Großdemos Betrug vor. Sie beklagten, dass ihnen Autonomie und das allgemeine Wahlrecht verwehrt blieben. Wird die neue Hongkonger Regierung auch neue Pläne für politische Reformen vorlegen?

Yuen: Ja, es gab Proteste. Aber genau das illustriert ja gerade, dass es in Hongkong Meinungs- und Versammlungsfreiheit gibt. Diese sind in unserer Miniverfassung (Basic Law, Anm.) auch garantiert. Die Menschen haben auch nach 1997 alle Freiheiten. Dieser Protest gehört zu einer normalen Großstadt. Gäbe es das nicht, müsste man tatsächlich fragen, warum. Unterschiedliche Meinungen bringen Gesellschaften weiter. Und eine verantwortungsvolle Regierung muss zu verstehen versuchen, warum die Menschen auf die Straße gehen.

STANDARD: Sind die Forderungen aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?

Yuen: Die Stimmen dieser Bewegung sind sehr vielfältig. Manche fordern politische Reformen. Manchen geht es um Arbeitsrechte, anderen um die Altersversorgung. Die Jungen wollen leistbares Wohnen. Was die Forderung nach der allgemeinen Wahl des Verwaltungschefs anbelangt: Leider sind wir mit Reformpaket vor einigen Jahren in der Legislativversammlung gescheitert.

STANDARD: Werden Sie es erneut versuchen?

Yuen: Die neue Verwaltungschefin hat gesagt, dass das in einem günstigen politischen Umfeld durchaus der Fall sein könnte. Das Ziel ist definitiv ein allgemeines Wahlrecht. Das steht im Basic Law, und die Menschen in Hongkong wollen das auch. Die Frage ist, wann und wie wir das umsetzen können. Dabei müssen allerdings wir auch mögliche negative Auswirkungen einrechnen: Es gibt das Risiko eines erneuten Scheitern, es könnte negative Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft haben. Die Menschen könnten sich zu sehr auf Politik fokussieren. All diese Faktoren sind relevant, und die Regierung wird diese jedenfalls ins Kalkül ziehen.

STANDARD: Hätte ein Wahlgesetz, in dem die Kandidaten wie beim letzten von Peking genehmigt werden müssten, eine Chance?

Yuen: Hongkong ist eine Region mit Sonderstatus in China. Wir haben hohe Autonomie, aber dennoch gehören wir zu China. Wenn wir über ein allgemeines Wahlrecht reden, reden wir nicht über ein allgemeines Wahlrecht eines souveränen Staates. Wenn Sie sich Artikel 45 des Basic Law ansehen, ist dort auch das Recht auf Ernennung durch die Volksrepublik angeführt. Das bedeutet: Die Menschen bekommen maximales Wahlrecht, aber Hongkong bleibt eine Region Chinas. Deswegen hat die Zentralregierung ja auch dieses Ernennungsrecht.

STANDARD: Chris Patten, der letzte britische Gouverneur Hongkongs, erklärte unlängst: China breche Wort und Geist der Übergabevereinbarung, weil es die Menschen in Hongkong unter Druck setze, die Gerichtsbarkeit unterminiere, in Prozesse eingreife, Bürger verschwinden lasse.

Yuen: Es ist immer leicht, sensationsheischende Kommentare abzugeben. Wir sollten zwischen subjektiven Eindrücken und objektiven Fakten unterscheiden. Zur Gerichtsbarkeit: Sie ist seit 1997 immer stärker geworden. Es gibt Kontinuität in der Rechtsprechung. Wir haben einen Obersten Gerichtshof, an dem ausländische Richter engagiert sind. Dessen Urteile werden in anderen Common-Law-Staaten wie England oder Australien zitiert. Diese Unabhängigkeit schlägt sich auch in internationalen Rankings nieder.

STANDARD: Wie kommt es dann, dass der Studentenführer Joshua Wong vor dem Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Hongkong festgesetzt wurde?

Yuen: Wenn wir diesen hochpolitisierten Vorfall ansehen, dann muss man feststellen, dass Menschen aus zwei Lagern vor Gericht gebracht wurden. Was die Occupy-Bewegung angeht, arbeiten die Gerichte unabhängig. Alle Fälle wurden professionell behandelt, alle Instanzenwege ermöglich. Niemand in Hongkong, wirklich niemand, behauptet, dass die Gerichte politisch motiviert urteilen.

STANDARD: Präsident Xi erklärte in Hongkong, dass es rote Linien gebe, die nicht überschritten werden dürften. Welche sind das?

Yuen: In jedem Land sind Souveränität und die nationale Sicherheit wichtig. Jeder Staatschef – der chinesische, der amerikanische oder sonst einer – wäre erpicht darauf, die Souveränität seines Landes zu schützen. Aus dieser Perspektive ist diese Aussage kaum verwunderlich. (Christoph Prantner, 12.7.2017)