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So könnten die Erben der Erde aussehen, wenn es nach einer neuen Studie geht.
Foto: AP Photo/Bob Goldstein & Vicki Madden, UNC Chapel Hill

Oxford – Kaum einen Millimeter lang, mit acht Stummelbeinen und einem rüsselähnlichen Mundkegel ausgerüstet und so behäbig, dass ihre taxonomische Bezeichnung Tardigrada (die Langsamschreitenden) lautet: So sehen die Tiere aus, die nach Meinung von Forschern die besten Aussichten haben, selbst die größten Umweltkatastrophen zu überstehen und so lange zu überdauern, wie Leben auf der Erde überhaupt möglich ist.

Auf Deutsch heißen diese entfernten Verwandten der Gliederfüßer Bärtierchen. Etwa 1.000 verschiedene Arten hat man bereits identifiziert, in Wirklichkeit dürften es aber um ein Vielfaches mehr sein. Und sie sind nahezu überall: In den Meeren, in Seen und Flüssen und auch an ausreichend feuchten Stellen an Land. Insbesondere Moospolster, Flechten und feuchtes Laub sind typische Lebensräume von Bärtierchen.

Überlebenskünstler

In den vergangenen Jahren sind die unscheinbaren Wesen in der Wissenschaft etwas in Mode gekommen, seit man ihre verblüffenden Überlebensfähigkeiten genauer kennengelernt hat. Die verschiedenen Bärtierchenarten haben ein wahres Arsenal von Möglichkeiten entwickelt, mit extremen Umweltbedingungen fertig zu werden: ob Sauerstoffarmut, schwankender Salzgehalt, Kälte, Trockenheit oder Strahlung.

Kälteresistenz ist dabei noch ein Understatement: Im Zustand der Kryobiose, in dem sie ihren Stoffwechsel fast gänzlich zum Erliegen bringen, können Bärtierchen bis knapp über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt werden. Werden sie später sanft erwärmt, sind sie wieder putzmunter – zumindest nach ihren Verhältnissen.

2007 stellten sie das eindrucksvoll unter Beweis: Eine Gruppe deutscher und schwedischer Forscher schickte eine Ansammlung von Bärtierchen mit einer Rakete ins All. Für einige Zeit dem Vakuum ausgesetzt zu sein, machte den Tieren fast gar nichts. Die Strahlenbelastung im Weltraum raffte den Großteil von ihnen dahin, aber einige überstanden auch das. Wieder zurück auf der Erde, pflanzten sich diese fort, als wäre nichts geschehen – ihre Nachfahren leben noch heute und zeigen keine Anzeichen für Erbgutschäden.

Foto: APA/AFP/Sinclair Stammers

Um zu sehen, ob es nicht doch etwas gibt, das den unverwüstlichen Winzlingen den Garaus machen kann, haben Forscher der Universität Oxford einige Szenarien durchgespielt. Wie sie im Fachmagazin "Scientific Reports" berichten, mussten sie dabei zu drastischen "Mitteln" greifen: Asteroideneinschlägen, Supernovaexplosionen und Gammablitzen. Und selbst die befanden sie anschließend aus verschiedenen Gründen für irrelevant.

Drei Katastrophenszenarien

Ein verhältnismäßig kleiner Asteroid war ausreichend, um vor 66 Millionen Jahren die großen Dinosaurier auszulöschen. Es war nicht das erste und wohl auch nicht das letzte Mal, dass der Einschlag eines solchen Himmelskörpers einen Einschnitt in der Geschichte der komplexen und damit auch anfälligen Lebensformen bedeutet hat.

Um die Bärtierchen auszulöschen, müssten schon die Meere und sämtliche anderen Gewässer der Erde zum Kochen gebracht werden. Dafür bräuchte es laut den Berechnungen des Teams um den Physiker David Sloan aber den Einschlag eines Himmelskörpers von der Größe des Asteroiden Vesta oder gleich eines Zwergplaneten wie Pluto. Von diesem Kaliber gebe es zwar einige im Sonnensystem, doch kreisen alle auf sicheren Bahnen und kommen die Erde nicht in die Quere.

Eine Sternenexplosion könne das irdische Wasser ebenfalls verdampfen lassen – müsste dafür laut Sloans Team aber in 0,14 Lichtjahren Entfernung stattfinden, und unsere nächste Nachbarin Proxima Centauri ist über vier Lichtjahre weit weg. Ein sehr viel massereicherer Stern könnte verheerende Wirkung vielleicht auch aus größerer Entfernung entfalten, doch sei die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies noch während der Lebenszeit der Sonne geschieht, "vernachlässigbar".

Gefahr Gammablitz

Bleibt als letzte Massenvernichtungswaffe ein Gammastrahlenblitz. Bei einem solchen Ausbruch kann binnen Sekunden mehr Energie freigesetzt werden, als die Sonne in Milliarden Jahren abgestrahlt hat. Träfe ein solcher Blitz direkt auf die Erde, könnte er sie schlimmstenfalls sterilisieren. Für das Szenario kochender Ozeane dürfte er laut den Forschern aus Oxford aber nicht weiter als 40 Lichtjahre entfernt stattfinden – und wieder ist die Wahrscheinlichkeit dafür sehr gering.

Ein solcher Gammablitz gilt sogar als möglicher Kandidat für den Auslöser eines Massenaussterbens, das vor 443 Millionen Jahren stattfand. Sollte diese Hypothese zutreffen, war er aber zu schwach, um selbst so komplexe Tiere wie Trilobiten oder Stachelhäuter vollständig auszurotten – ganz zu schweigen von den Bärtierchen, die es nach heutigem Wissensstand bereits seit einer halben Milliarde Jahre gibt.

Solange die Sonne scheint, sind die Bärtierchen also nicht in Gefahr, bilanzieren die Forscher – mögen komplexere Organismen auch Katastrophen "geringeren" Ausmaßes zum Opfer fallen. Freilich gilt das nur für diese Tiergruppe als Gesamtheit, denn bei weitem nicht alle der etwa 1.000 bekannten Bärtierchenarten sind solche Überlebenskünstler. Manche Arten sind auch nur so widerstandsfähig, wie man es von einem Tier erwarten würde, das in einem Moospolster herumdümpelt.

Foto: APA/AFP/NATURE PUBLISHING GROUP

Dass die Uni Oxford den Bärtierchen in einer Aussendung einen Fortbestand von "mindestens zehn Milliarden Jahren" attestiert, erscheint allerdings etwas übertrieben. Die Sonne wird in voraussichtlich 7,1 bis 7,7 Milliarden Jahren ins Stadium eines Roten Riesen eintreten und sich dabei so stark aufblähen, dass die Erdkruste aufschmilzt. Spätestens dann wird es wohl auch mit den pummeligen Überlebenskünstlern vorbei sein – immerhin lange nach den höheren Lebensformen, die zu diesem Zeitpunkt schon längst der allmählichen Expansion der Sonne noch vor dem eigentlichen Roter-Riese-Stadium erlegen sind.

Doch sogar für dieses Endzeitszenario haben manche Forscher schon Gedankenspiele über mögliche Auswege angestellt. Laut dem Bärtierchen-Experten William R. Miller von der Baker University in Kansas könnten Tardigrada theoretisch die Reise ins nächste Sternsystem überstehen. Auch wenn die Reisemethode offenbleibt und dafür wohl so viele Faktoren zusammenspielen müssten, dass die Wahrscheinlichkeit in ähnlichen Bereichen liegt wie die einer Kollision mit Pluto.

Immerhin sieht Sloan aus seinen Berechnungen eine tröstliche Botschaft hervorgehen: Es mögen einzelne Spezies oder ganze Gruppen von Organismen aussterben, aber das Leben an sich geht – zumindest bis zum Grande Finale der Sonne – weiter. "Es scheint, dass das Leben, wenn es einmal in Gang gekommen ist, nur schwer wieder komplett auszulöschen ist." (jdo, 16.7.2017)