Schwere Gewalt in Beziehungen ist ein anhaltendes Problem

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Boston – Sowohl die Literatur als auch die Forschung zum Thema Mord beschäftigt sich vorwiegend mit Männern. Das ist zunächst nicht verwunderlich, denn bei 75 Prozent der Mordfälle in den USA ist sowohl der Täter als auch das Opfer ein Mann. Der Fokus ist also nachvollziehbar, dennoch gibt es wesentliche genderspezifische Aspekte, wie eine aktuelle Studie zeigt.

So gibt es etwa deutliche Unterschiede zwischen männlichen Tätern und Opfern und weiblichen Täterinnen und Opfern. Die an der Northeastern University in Boston durchgeführte Untersuchung analysierte den Zeitraum der letzten vier Jahrzehnte und bietet somit ein umfassendes Bild möglicher Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Veränderungen und dem Gewaltverbrechen.

Die AutorInnen der Studie, James Alan Fox und Emma E. Fridel, haben sich die nationale Datenbank zu Mord des FBI zwischen den Jahren 1976 und 2015 angesehen, um die Unterschiede bei Morden aufgrund des Geschlechts zu analysieren. Denn der "Gender Gap" existiert, so wie nahezu überall, auch bei Homoziden. Abgesehen von dem Risiko, Opfer eines Mordes zu werden oder mörderische Tendenzen zu entwickeln, gibt es zwischen Männern und Frauen auch Unterschiede in der Methode, dem Motiv und der Beziehung zwischen Opfer und TäterIn.

Täterinnen passen nicht ins Bild

Wenn Frauen als Täterinnen erforscht wurden, erfolgte das in der Vergangenheit oft nur nebensächlich, oder man schrieb ihnen besondere Charakterzüge zu. So meinte der "Vater der Kriminologie", Cesare Lombroso, vor mehr als einem Jahrhundert, dass weibliche Täterinnen aufgrund von "Immoralität" handelten, was er durch Prostitution und "Lüsternheit" bestätigt sah. Marvin E. Wolfgang erhob 1958 Zahlen, nach denen Frauen eher morden, wenn durch das Opfer im Vorfeld Aggression oder Gefahr ausgegangen ist.

In jüngerer Zeit beschäftigt sich die Forschung zu Mord und Frauen verstärkt mit Gewalt in Intimbeziehungen, Kindsmord und sexueller Viktimisierung. ForscherInnen haben dabei festgestellt, dass Frauen in vielen dieser Fälle als weniger schuldfähig eingestuft werden. Dabei wird die Motivation für die Tat oft durch den Einfluss eines männlichen Komplizen oder postpartale Depression, psychische Erkrankungen oder als Reaktion auf Viktimisierung erklärt.

In der Literatur wird die Verwendung von Gewalt bei Männern und Frauen teilweise unterschiedlich eingestuft. So wird laut Fox und Friedel oft angenommen, dass Gewalt Männern als offensive Methode dient, um Überlegenheit zu demonstrieren, während Frauen sie als letzten Ausweg sehen. Auch wenn manche gewalttätige Frauen von dieser Ansicht profitieren mögen, sehen feministische KriminologInnen ein Problem darin. Frauen würden dadurch doppelt bestraft, einerseits für ihr Vergehen, aber andererseits auch für ihren Bruch mit gesellschaftlichen Geschlechterrollen.

Unterschiede noch unerforscht

Unabhängig davon, ob Frauen "zu hart" oder "zu mild" bestraft werden, ist sich die Forschung darin einig, dass die Verhaltensmuster von Frauen als Opfer und Täterinnen von ihren männlichen Gegenstücken abweichen und der Geschlechteraspekt daher einer genaueren Betrachtung bedarf.

Für die vorliegende Studie wurde dazu die nationale Datenbank des FBI herangezogen. Alle Fälle von Mord und Totschlag zwischen 1976 und 2015 in den USA wurden analysiert, sofern die lokale Exekutive sie an das System übermittelt hatte. Darin enthalten sind Informationen über den Ort des Verbrechens, die Demografie der Opfer und TäterInnen, die Tatwaffe, die Umstände der Tat und das Verhältnis zwischen Opfern und TäterInnen. Wenn Daten unvollständig waren, haben die AutorInnen diese mittels Nachforschung und statistischen Werten ergänzt.

Männer töten eher Männer

Obwohl "Femizid", also Frauen als Opfer von Mord, oftmals viel Aufmerksamkeit in den Medien bekommt, sind Männer deutlich häufiger in einen Mord involviert. So waren in den vier Jahrzehnten, die die Studie untersuchte, in knapp drei Viertel der Fälle nur Männer verwickelt. Etwa 90 Prozent der TäterInnen waren Männer, und ihre Opfer waren zu 81 Prozent männlich. Außerdem sind 78 Prozent der Opfer von weiblichen Täterinnen ebenfalls Männer. Männer begehen zehnmal so oft Morde wie Frauen, sind aber auch viermal so häufig Opfer eines Mordes. Zusammenfassend kann man sagen, dass es für Frauen wahrscheinlicher ist, Opfer zu sein als Täterin, und Männer eher Täter als Opfer eines Mordes sind.

Anteil an Mordopfern und TäterInnen nach Geschlecht.
Foto: James Alan Fox & Emma E. Fridel

Unterschiede zeigen sich auch beim durchschnittlichen Alter von TäterInnen und Opfern. So sind knapp 50 Prozent der männlichen Täter unter 25, wenn sie einen Mord begehen, die Täterinnen hingegen nur in knapp 35 Prozent der Fälle. ExpertInnen begründen das unter anderem mit Morden, die mit Gang- und Drogenkriminalität in Verbindung stehen, die in den späten 80er-Jahren bis Mitte der 90er ihren Höhepunkt hatten.

Sind Kinder Opfer eines Mordes, sind meist Frauen die Täterinnen. Zwei Drittel aller Kindsmorde werden durch Frauen begangen, häufig ist dabei die Mutter oder Stiefmutter die Täterin. Bei Morden an Kindern unter einem Jahr ist die überwiegende Mehrheit, etwa 80 Prozent, der TäterInnen weiblich. Auffällig ist in diesem Zusammenhang eine erhöhte Verbreitung von Ertränken und Ersticken als Tötungsmethode.

Beziehung als wichtigster Faktor

Wenn Opfer und TäterIn eine enge Beziehung zueinander hatten, nähern sich die Geschlechter ein wenig an, denn mehr als die Hälfte der Mörderinnen tötet ihre PartnerInnen oder Familienangehörige.

Dennoch zeigt sich deutlich, dass die Gefahr für Frauen in ihrem persönlichen Umfeld größer ist als für Männer: Nur elf Prozent der weiblichen Mordopfer werden von Fremden getötet, die überwiegende Mehrheit kennt ihren Mörder also im Vorfeld. Männer werden in 30 Prozent der Fälle von ihnen unbekannten Personen getötet.

Besonders eindeutig zeigt sich dieser Unterschied, wenn man sich die direkten Zusammenhänge zwischen TäterInnengeschlecht und der Beziehung zum Opfer ansieht. Tötete ein Mann eine Frau, bestand in 67,4 Prozent der Fälle eine intime Beziehung zwischen den beiden, im umgekehrten Fall waren es lediglich 19,4 Prozent.

Ab dem Teenageralter steigt daher für Frauen die Gefahr, zum Mordopfer zu werden, denn im Rahmen einer Intimbeziehung werden Frauen zu jeder Zeit überproportional häufiger getötet als Männer. Die Unterschiede sind hier enorm, so werden knapp 50 Prozent aller weiblichen Mordopfer von ihren PartnerInnen getötet, hingegen trifft das nur auf fünf Prozent aller männlichen Mordopfer zu.

Prozentanteil der Morde in einer Familien- oder Intimbeziehung nach dem Alter des Opfers (2000–2015).
Foto: James Alan Fox & Emma E. Fridel

Außerdem gibt es seit den 1970er-Jahren einen stetigen Abwärtstrend bei Morden von Frauen an Männern in Beziehungen, während die umgekehrten Fälle bis in die 1990er sogar noch anstiegen und seither weniger deutlich zurückgehen.

Männer profitierten von Frauenrechten

Die Erkenntnisse über die Entwicklung von Morden in Beziehungen sind aufgrund ihrer Eindeutigkeit von großer Bedeutung, vor allem im Kampf gegen häusliche Gewalt. In den vergangenen 40 Jahren ist die Zahl der Morde durch weibliche Täterinnen in Beziehungen um 60 Prozent gesunken.

Die Forschung sieht mehrere Gründe dafür: die Verbesserung der sozialen und rechtlichen Intervention, die Liberalisierung des Scheidungsrechts, größere finanzielle Unabhängigkeit von Frauen und Rückgänge bei der Stigmatisierung von Opfern häuslicher Gewalt.

Allerdings zeigten diese Maßnahmen vorerst vor allem Wirkung in der Reduktion der Zahl männlicher Opfer, jedoch nicht bei Frauen als Opfern häuslicher Gewalt. Wenn Frauen früher die Ermordung ihres gewalttätigen Partners als einzigen Ausweg sahen, hatten sie nun mehr Möglichkeiten, Schutz in Frauenhäusern zu suchen oder ein Kontakt- und Betretungsverbot zu erwirken.

Anzahl der Morde in intimen Partnerschaftsbeziehungen nach Geschlecht des Opfers.
Foto: James Alan Fox & Emma E. Fridel

Währenddessen wurden die Morde an Frauen durch ihre männlichen Partner im Lauf der 1980er-Jahre stetig mehr. Erst in den 1990ern nahm auch die Zahl der weiblichen Mordopfer durch Gewalt in Intimbeziehungen langsam ab. Teilweise bedingt durch den Erlass des Brady Handgun Prevention Act 1993, der jene mit einer Vorstrafe in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt davon ausschloss, legal eine Waffe zu kaufen. Auch die Masseninhaftierung von Männern aufgrund von härterem Durchgreifen bereits bei kleineren Vergehen zur damaligen Zeit sehen ExpertInnen als möglichen Faktor. (Julia Sahlender, 19.7.2017)