Blumen und Kerzen vor dem Olympia Einkaufszentrum in München nach dem Amoklauf vom 22. Juli 2016.

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München – Vor einem Jahr hat der Amoklauf eines psychisch kranken Schülers ganz München in einen Ausnahmezustand versetzt. Am 22. Juli 2016 erschoss der 18-jährige David S. am Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) neun Menschen und dann sich selbst. Wie der Schütze einzuordnen ist, wird noch immer diskutiert.

Neben der provisorischen Erinnerungsstelle wird zum Jahrestag ein offizieller Gedenkort eröffnet: Ein Lebensbaum, umfasst von einem zwei Meter hohen Ring aus poliertem Edelstahl, der in der Erde versinkt und wie ein Schmuckstück neun Steine trägt. Innen sollen sie die Namen und Bilder der neun Todesopfer tragen. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Angehörige der Opfer werden sprechen.

Geschäfte schließen aus Respekt

"Aus Respekt gegenüber den Betroffenen" seien die Geschäfte des OEZ bis nach der Gedenkfeier geschlossen, sagte Center-Manager Christoph von Oelhafen. Ein Schreiben des Managements hat die Geschäftsleute auf den Ansturm der Presse vorbereitet. Keine Interviews, hieß es in den Geschäften. "Für uns ist soweit Normalität eingekehrt", sagte ein Mann hinter einer Ladentheke. "Wir sind froh, dass wir alle unsere Arbeitsplätze haben." Nach dem Amoklauf hatten die Geschäfte über erhebliche Einbußen geklagt.

Mancher Kunde hat unwillkürlich die Tat vor Augen, wenn er das OEZ betritt. An einer Stelle ist versteckt noch ein Einschuss zu sehen. "Ich finde schon, dass man daran denkt, wenn man da ist", sagte Besucherin Isabella Eggleder. Das Leben habe sich verändert. "Man erschrickt schnell." Der Gedanke an Terror und Gewalt ist allgegenwärtig. Und hat in der Amoknacht wohl zu dem Ausnahmezustand beigetragen, der in der ganzen Stadt herrschte.

Panik nach Schüssen

Als sich David S. zweieinhalb Stunden nach der Tat vor den Augen von Polizeibeamten erschießt, harren verängstigte Menschen in Kellern aus, suchen Schutz bei Münchnern, die ihre Wohnungen für sie öffnen – oder flüchten in Todesangst. An über 70 Orten melden Menschen Schüsse, Verletzte und Tote – obwohl es dort keinerlei Bedrohung gab.

Ein Minimalreiz habe genügt, "um beim Einzelnen den Schalter umzulegen und ihn Dinge als Bedrohung empfinden zu lassen, die völlig harmlos sind", sagte der Sprecher der Münchner Polizei, Marcus da Gloria Martins, der den Einsatz begleitete. "Das waren zum Beispiel herunterfallende Tabletts in einer Gaststätte oder eine umstürzende Aluleiter in einem Geschäft." Beides sei als Schüsse interpretiert worden. Er sprach von einem kollektiven Phänomen. "Einer fängt an zu laufen – und jeder, der das sieht, läuft mit. Das hat eine infektiöse Wirkung – wenn es eine entsprechende Grundlage gibt." Am frühen Morgen konnte die Polizei Entwarnung geben, die Lage beruhigte sich.

Ermittler fanden knapp 60 Patronenhülsen

Am Nachmittag des 22. Juli hatte sich David S. aufs Fahrrad gesetzt. Er fuhr zum OEZ – um seinen monatelang vorbereiteten Plan in die Tat umzusetzen. Eine Pistole vom Typ Glock 17 und mehrere Hundert Schuss Munition hat er im Rucksack. Eine Stunde lang schaut er sich im McDonald's am OEZ um. Um 17.51 Uhr geht er auf die Sitznische zu, in der Armela und ihre Freunde sitzen. Er kennt sie nicht. Er feuert. Die 14-Jährige und vier etwa Gleichaltrige sterben, ein 13-Jähriger überlebt. Dann läuft David S. ins OEZ, feuert weiter. Die Ermittler fanden knapp 60 Patronenhülsen, die aus seiner Pistole stammten.

Der Hass des psychisch kranken Schülers richtete sich den Ermittlern zufolge gegen Jugendliche, die von Alter, Aussehen, Herkunft und Lebensstil denen ähnelten, die ihn über Jahre gemobbt und gedemütigt hatten: junge Menschen mit südosteuropäischen Wurzeln. Dazu zählten Armela, deren Familie aus dem Kosovo stammt, und ihre Freunde.

David S. hat selbst iranische Wurzeln. Sein Vorbild war unter anderem der rechtsextreme norwegische Massenmörder Anders Breivik. Bei einem Klinikaufenthalt zeichnete er Hakenkreuze, zeigte einmal den Hitlergruß und steigerte sich in Hasstiraden. "Ich bin Deutscher", rief er nach den tödlichen Schüssen auf seine vorwiegend jugendlichen Opfer, fast alle mit Migrationshintergrund.

Dennoch bleiben die Ermittler bei dem Schluss, dass sein Motiv persönliche Kränkung war. Ob der Prozess gegen den mutmaßlichen Verkäufer der Waffe, der im August beginnt, dazu neue Einblicke bringt, ist offen.

Eltern bekamen Drohungen

Auch in der Politik gingen die Meinungen auseinander, teils sogar innerhalb der Parteien. David S. sei ein geistig verwirrter Einzeltäter gewesen, seine Opfer habe er "rein zufällig" ausgewählt, meinte Peter Paul Gantzer (SPD) im April im Innenausschuss des Landtags. Sein Fraktionskollege Peter Ritter sagte hingegen: "Wenn eine rechtsextreme Gesinnung bei dem Täter festzumachen ist, muss das ja irgendwie mit reinspielen." Die Landtags-Grünen haben sich vorerst nicht mit ihrem Vorstoß durchgesetzt, den Radikalisierungsprozess des Täters genau aufzuarbeiten.

Die Eltern von David S. bekamen nach der Tat ihres Sohnes massive Drohungen. Sie leben nun im Ausland unter anderem Namen. (APA, red, 16.7.2017)