Nein, wir wollen hier nicht die Reste in unserem Kühlschrank, die Spuren auf unseren Tellern oder gar den Inhalt des Biokübels ins Rampenlicht stellen. Das machen schon andere. Wir vom Verein "Kulinarisches Mittelalter" beschäftigen uns mit Kulinarhistorik. Um Ernährungsgeschichte schreiben zu können, reicht es beispielsweise schon, darüber Bescheid zu wissen, wo denn das Schnitzel vom letzten Sonntag aufgewachsen ist. Spannend mag auch sein, herauszufinden, seit wann und vor allem warum bei uns hinter den Alpen der Burger-Boom eingesetzt hat. Uns allerdings interessiert, wie es um die Ernährung der Menschen im Mittelalter – also in etwa zwischen 500 und 1500 – und in der Frühen Neuzeit – von circa 1500 bis circa 1750 – bestellt ist, weil das im weitesten Sinne auch unsere Arbeit im Bereich der germanistischen Mediävistik betrifft. 

Ernährung im Mittelalter

Die Ernährungssituation im Mittelalter war geprägt von Hunger und Überfluss. Klimatische und saisonale Gegebenheiten hatten auf diesen Gegensatz genauso Einfluss wie kulturelle Faktoren, beispielsweise das Gegenüber von religiösen Fasten- und Festtagen. Da Nahrungsmittelmangel und Hunger nur allzu oft bittere Realität waren, wurden Feste umso rauschender gefeiert. Bildliche Darstellungen, literarische Schilderungen und historische Aufzeichnungen berichten von opulenten und überraschenden Speisefolgen und Unterhaltung mit Musik und Tanz, wie es für ein adeliges Publikum des Mittelalters angemessen war.

Die herzogliche Tafel aus dem Stundenbuch des Herzogs von Berry.
Foto: Public Domain

Das höfische Fest – Prunk, Prestige, Realitätsflucht

Höfische Feste im Mittelalter, die zu religiösen Anlässen (Hochfeste) sowie sozialen und politischen Zwecken (Hochzeiten, Vertragsabschlüsse et cetera) stattfanden, waren Events im umfassendsten Sinn dieses Wortes: Im Mittelpunkt stand die Unterhaltung der Anwesenden. Die Feste folgten in der Regel einer geplanten Choreografie, die von der Begrüßung der Gäste vor dem Eintritt in die festlichen Räumlichkeiten, über die Gestaltung der Tische bis hin zu einem festlichen Höhepunkt reichte, der ein Schaugericht – zum Beispiel eine Pastete gefüllt mit lebendigen Vögeln – oder eine "Showeinlage", wie Gaukler oder Tanzbären, sein konnte.

Die Gäste waren an eine höfisch-adelige Etikette gebunden, was neben dem höflichen und sozial-formalen Umgang mit den anderen Gästen und dem Gastgeber selbstverständlich auch adäquates Verhalten bei Tisch und entsprechende höfische Tischsitten vorausgesetzt hat. Natürlich waren derartige Feste immer eine Demonstration von Macht und finanzieller Potenz, aber im Rahmen dieser Gastmähler sollte es den geladenen Gästen auch möglich gemacht werden, dem harten Alltag – wenn auch nur für kurze Zeit – zu entfliehen.

Historische Entwicklung von Bier, Senf und Saucen

Aus unserer kulinarhistorischen Arbeit, die oft neben und parallel zum Brotberuf stattfindet, ist ein Verein entstanden, der sich der experimentellen Mediävistik verschrieben hat: Der Universitätsverein KuliMa – "Kulinarisches Mittelalter" an der Universität Graz – arbeitet seit 2005 an der Vermittlung kulinarhistorischer Fakten zum Mittelalter und der Frühen Neuzeit an ein breites, nichtwissenschaftliches Publikum. Das Fachwissen der Vereinsmitglieder stammt aus studentischer Arbeit an historischen Texten im Rahmen von Lehrveranstaltungen und natürlich aus der wissenschaftlichen Forschungstätigkeit. Diese sind vorwiegend am Institut für Germanistik der Universität Graz angesiedelt, sodass sich der Schwerpunkt der Arbeit auf die Aufbereitung von historischen Texten konzentriert.

Die Vereinstätigkeit beinhaltet aber auch Vorträge und Workshops zu einschlägigen Themenbereichen – "Einführung in die mittelalterliche Kulinarik", "Die historische Entwicklung von Bier bis in die frühe Neuzeit", "Saucen, Senf und Latwerge als medizinische Elemente der mittelalterlichen Ernährung", "Feste und Fasten im Mittelalter" – sowie Kochkurse mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Gleichzeitig wird auch die Rekonstruktion und praktische Umsetzung der historischen Rezepttexte versucht. Der Verein will mit seiner Arbeit die Esskultur des Mittelalters vermitteln und veranschaulichen, aber diese nicht nachstellen. So steht beim Kochen zum Beispiel nicht das Reenactment am Lagerfeuer im Mittelpunkt, sondern eine Übertragung – man kann ruhig "Übersetzung" sagen – einer historischen adeligen in eine gehobene moderne Küche.

Höfische Feste modern interpretiert

Im Rahmen unserer höfischen Feste wird versucht, die charakteristischen Elemente eines solchen Events in ein Dinner der Gegenwart einfließen zu lassen. Dabei hat das rituelle Händewaschen vor und bei Tisch genauso Platz wie eine begleitende Moderation mit Anekdoten und Fakten zur mittelalterlichen Kulinarik. Mittelalterliche Musik, zeitgenössische Literatur und gewagte mittelalterliche Speisenkombinationen ergänzen das Gesamtbild. Das landläufig übliche Bild des völlernden, saufenden und sittenlosen Ritters kann im Zusammenhang mit einem höfischen Fest getrost ausgeblendet werden.

"Böhmische Erbsen" nach Lorenz Kumpusch.
Foto: Helmut W. Klug

Gemäß eines modernen service á la russe ist die Abwechslung eines mittelalterlichen "Gangs" – also jene Speisen, die das Personal in einem "Gang" von der Küche zur Tafel bringen konnte – auf einem Teller zusammengefasst. Die einzelnen Gänge eines solchen höfischen Festes beinhalten unter anderem süß-sauer marinierten Fisch, Wurst, Kraut und Rüben, das berühmte Blanc manger, Wildfleisch und -geflügel und historische Krapfenkreationen. Bei der Zusammenstellung der Speisen steht der epochenübergreifende Wunsch nach Vielfalt und Abwechslung im Mittelpunkt, aber es wird nicht nur nach kulinarischen und ästhetischen Aspekten, sondern auch den für das Mittelalter so wichtigen Grundlagen der Diätetik kombiniert. (Helmut W. Klug, Karin Kranich, 25.7.2017)

Veranstaltungshinweis: Am 16. August findet in Graz das Foodfestival statt. Dort werden die Autoren des Blogs gemeinsam mit Alfons Schubeck ein höfisches Fest feiern und eine kulinarische Reise ins Mittelalter unternehmen.

Literaturtipps

  • Esskultur im Mittelalter (Wikipedia)
  • Laurioux, Bruno: Tafelfreuden im Mittelalter. Die Eßkultur der Ritter, Bürger und Bauersleut. Aus dem Französischen übersetzt von Gabriele Krüger-Wirrer. Augsburg: Bechtermünz 1999. 
  • Montanari, Massimo: Der Hunger und der Überfluss. Kulturgeschichte der Ernährung in Europa. 2., unveränd. Aufl. Aus dem Italienischen übersetzt von Matthias Rawert. München: Beck 1999. (Beck’sche Reihe 4025)
  • Schulz, Anne: Essen und Trinken im Mittelalter (1000-1300). Literarische, kunsthistorische und archäologische Quellen. Berlin; Boston: de Gruyter 2011. (Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Ergänzungsbände, Band 74)