Als die Nasa 1972 mit der Raumsonde Pioneer eine Plakette mit Informationen über unsere Spezies ins All entsandte, hatte sie keine Scheu, das Geschlechtsteil des Mannes abzubilden. Die Frau ging dagegen in dieser Hinsicht buchstäblich leer aus.

Eine simple Zeichnung sollte die Menschheit etwaigen außerirdischen Lebensformen bekanntmachen: Ein Mann mit zum Gruß erhobener Hand und eine Frau, beide nackt, wurden zusammen mit weiteren Informationen über das Leben auf der Erde auf Plaketten graviert, die die Nasa 1972 mit der Raumsonde Pioneer ins All entsandte. Das Geschlechtsteil des Mannes wurde abgebildet, das der Frau nicht.

Offenbar wurde eine kurze Linie in dem Dreieck zwischen den Beinen, das die Vulva der Frau andeuten sollte, kurzerhand wieder entfernt, schreibt Liv Strömquist. Und schließt daraus: "Die allgemeine Auffassung bei der Nasa war also, dass sogar Außerirdische auf anderen Planeten das Bild einer Vulva anstößig finden würden." Darunter sind Aliens zu sehen, die angeekelt mit ihren Tentakelarmen das Bild weit von sich strecken und sagen: "IGITT!! Darauf antworten wir NICHT! Wenn sie uns eines Tages fragen, sagen wir einfach, wir haben nichts bekommen!!"

Strömquist/Avant Verlag

Für die schwedische Comiczeichnerin und studierte Politikwissenschafterin Liv Strömquist ist das nur eines von einer Unzahl an Beispielen, mit denen sie illustriert, wie das weibliche Geschlechtsteil im Lauf der Geschichte nicht nur systematisch negiert und tabuisiert, sondern auch deformiert wurde und wird – in jeder Hinsicht.

Gleich zu Beginn des Sachcomics "Der Ursprung der Welt", einer Art Kulturgeschichte der weiblichen Sexualität, fällt Stömquist ohne Umschweife mit der Tür ins Haus und prangert die "Kultur der Scham" an, die untrennbar mit dem weiblichen Geschlecht verbunden ist. Das größere Problem seien aber Männer, die viel zu großes Interesse am weiblichen Geschlechtsorgan haben.

Onanie und Hermaphoditen

Es folgt ein Ranking der Top-7 der Männer, die dafür gesorgt haben, dass noch heute so viele Missverständnisse über das Thema kursieren: Darunter John Harvey Kellog, der nicht nur Cornflakes erfunden hat, sondern auch in der Medizin etablierte, dass Onanie für alle möglichen Krankheiten von Krebs abwärts verantwortlich ist. Oder John Money, Professor für klinische Psychologie, dem zu verdanken ist, dass Babys, die keine eindeutig dem binären Geschlechtssystem zuordenbaren Geschlechtsorgane aufweisen, bis heute operiert werden. Und das sind noch die harmloseren Vertreter.

Foto: Strömquist/Avant Verlag

Wenn die Geschichten und Grauslichkeiten, die Strömquist ausgräbt, nicht so unfassbar und schockierend wären, müsste man sich allerdings ständig zerkugeln aufgrund der extrem witzigen Zeichnungen, der charmant-räudigen Sprache und der pointierten, angriffigen Darstellung. Unter vollem Einsatz von Sonderzeichen, unterschiedlichen Typos, schreienden Fettschriften und mit einer guten Portion Selbstironie macht Strömquist, die regelmäßig für schwedische Magazine und Zeitungen zeichnet und eine eigene TV-Sendung hat, ihrer Rage Luft. Trotz allem Zynismus ob des zum Himmel schreienden Schwachsinns, der nach wie vor in Lehrbüchern, Tamponwerbungen und Medien verbreitet wird, kommt Strömquist immer wieder auf eine sachliche Ebene zurück.

Eva und der Wandel der Sexualität

Die Strips sind bis auf ein paar Farbtupfer und die knallbunte Episode "Feeling Eve", in der Eva aus dem Paradies zu Wort kommt, in schwarz-weiß gehalten, aufgepeppt mit reproduzierten Fotos und anderen Dokumenten. Die gut aufgearbeiteten Quellen sind direkt am Panelrand ausgewiesen.

Strömquist/Avant Verlag

"Der Ursprung der Welt" dokumentiert, wie sich ab dem späten 18. Jahrhundert das Bild der menschlichen Sexualität radikal änderte, indem der Fokus sämtlicher Wissenschaften darauf gelegt wurde, biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu entdecken – was letztlich dazu führte, dass weibliche Sexualität "als schwach oder nicht existent dargestellt" wurde, "während die männliche als stark und schwer kontrollierbar galt."

Das war nicht immer so, wie Strömquist zeigt. "Man betrachtete das weibliche Geschlechtsteil als eine Art Missbildung, eine weniger perfekte Version des männlichen. Aber im Grunde waren der männliche und der weibliche Körper gleich." In der Antike war es außerdem so, dass völlig diametral zu heute die Frau als zügellos und triebgesteuert angesehen wurde, während Männer als kontrolliert und vernunftgesteuert galten.

Strömquist/Avant Verlag

Zur Untermauerung ihrer Beobachtungen zitiert Strömquist Aristoteles genauso wie die Berichte einer Hebamme aus dem 17. Jahrhundert und wissenschaftlichen Abhandlungen von Ärzten aus allen Epochen. Sie beschreibt die Bedeutung des weiblichen Geschlechts in der griechischen Mythologie, in keltischen Kulturen, mittelalterlichen Riten und bis zu 35.000 Jahre alten figurativen Skulpturen, die eine beachtliche Vulva aufweisen.

In sieben Kapiteln springt Strömquist mit einem Höllentempo durch die Geschichte, verweist auf Jean Paul Sartre, Maria Theresia und Sigmund Freud, dekonstruiert Mythen um Orgasmus, Klitoris und Menstruation. Sie seziert sprachliche Verwirrungen zwischen Vagina und Vulva genauso wie Wissenschaftsgeschichte, analysiert Phänomene wie chirurgische Schamlippenverkleinerung und PMS. Sie schaut ganz genau hin und nennt die Dinge beim Namen. Das ist erfrischend, erstaunlich wie empörend – und Aufklärung im wahrsten Sinne des Wortes. (Karin Krichmayr, 25.7.2017)