Publizist Adam Krzeminski: "Kaum Platz für Solidarität".

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Entlassene Journalisten in öffentlich-rechtlichen Medien, Angriffe auf ausländische Medieninvestoren, staatliche Drangsalierung investigativer Journalisten: Der polnische Publizist Adam Kzreminski sorgt sich um die Pressefreiheit in Polen. Oppositionelle Medien würden von der Regierung entweder "ignoriert oder geifernd angegriffen", Informationen bewusst nicht herausgegeben.

Besonders schlimm sei die Situation im öffentlich-rechtlichen Bereich: "Die leitenden Redakteure verstehen sich als Parteisoldaten und Propagandisten", sagt Krzeminski. Die Verteidigung des polnischen Außenministers Witold Waszczykowski im STANDARD-Interview, man würde nun ein vermeintliches Ungleichgewicht zugunsten liberaler Positionen in den Medien korrigieren, weist Krzeminski zurück: Es gehe nicht ums Zurechtrücken, sondern "um eine parteiische Propagandamaschine der Regierung".

STANDARD: Kann man in Polen heute noch von einer freien Presse sprechen?

Krzeminski: Es gibt noch immer oppositionelle Medien – Tages- und Wochenzeitungen, die höhere Auflagen erzielen als Propagandapostillen der Regierung. Es gibt regierungskritische Internetportale, Watchdog-Initiativen und private Sender, die sich kein Blatt vor den Mund nehmen. Dennoch ist die Meinungsfreiheit gefährdet.

STANDARD: Warum?

Krzeminski: Nach anderthalb Jahren PiS-Regierung hat Freedom House Polen um weitere sieben Plätze zurückgestuft – auf Platz 154 hinter Belize, Burkina Faso oder Uruguay. Der Grund waren massive Entlassungen der führenden Journalisten der öffentlich-rechtlichen Medien nach den Wahlen 2015 und Angriffe gegen ausländische Medieninvestoren. Der gravierendste Vorwurf galt aber der Novelle des Mediengesetzes, das der Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig und damit unwirksam zurückwies. Die Regierung veröffentlichte das Verdikt zwar, der Kulturminister zögert aber, daraus Konsequenzen zu ziehen und die personellen Ummodelungen der öffentlich-rechtlichen Medien als nichtig anzuerkennen.

STANDARD: Welche Probleme gibt es jetzt für Journalisten in Polen?

Krzeminski: Die oppositionellen Medien werden von Regierenden ignoriert oder geifernd angegriffen. Investigativen Journalisten wird mit juristischer Drangsalierung gedroht. Es wird auch zunehmend schwieriger, von staatlichen Stellen Informationen zu erhalten. Gesetzlich sind sie verpflichtet, Anfragen von Journalisten innerhalb von 15 Tagen zu beantworten, diese Termine werden aber oft überzogen, sodass die Informationen für den laufenden Medienbetrieb wertlos werden.

STANDARD: Wie ist die Situation in staatlichen Medien, über deren Führungsebene die Regierung die Kontrolle übernommen hat?

Krzeminski: Selbst im Regierungslager gibt es Kritik wegen der niedrigen Qualität und Einschaltquoten der Hauptnachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Die leitenden Redakteure verstehen sich als Parteisoldaten und Propagandisten, die Stimmungsmache betreiben. Journalistische Sorgfalt kann man von den Hauptnachrichten nicht mehr erwarten: So wurde ein französischer Komiker, der antiislamische Klischees anprangerte, indem er als Muslim verkleidet einen Alkoholladen demolierte, dort als Beleg für den im Gang befindlichen Angriff auf den westlichen Way of Life hingestellt. Diese dreiste Stimmungsmache hat durchaus Erfolg. 2015 war die Mehrheit für die Aufnahme von Flüchtlingen, heute ist die Mehrheit strikt dagegen.

STANDARD: Der polnische Außenminister Waszczykowski rechtfertigte den Einfluss der Regierung auf die Medien im STANDARD-Interview mit dem Argument, man wolle nicht nur "Vertreter liberaler Ansichten" vorkommen lassen.

Krzeminski: Lüge als Programm in den Hauptnachrichten ist keine Normalität. Es geht bei dieser Inbesitznahme der öffentlich-rechtlichen Medien nicht um ein Zurechtrücken des Proporzes oder des früher angeblich liberal- oder linkslastigen Diskurses, sondern um eine parteiische Propagandamaschine der Regierung. Faire Debatten mit der Opposition gibt es in diesen Medien nicht. Das ist auch der Grund, warum die privaten Medien inzwischen viel höhere Einschaltquoten haben und auch von Vertretern des Regierungslagers gerne besucht werden.

STANDARD: Waszczykowski erklärte auch, private Medien seien davon nicht betroffen, weil sie sich meist in ausländischem Besitz befänden – gleichzeitig plant die Regierung aber, genau diese Medien in polnischen Besitz zu bringen. Ist das der Versuch, staatliche Einflussnahme zu ermöglichen?

Krzeminski: Nicht betroffen bedeutet noch lange nicht, dass sie nicht behindert werden. Es gibt Hinweise auf ein Verbot für staatliche Institutionen, oppositionelle Tages- und Wochenzeitungen zu beziehen und in ihnen zu inserieren, sowie eine informelle Anweisung, den Vertrieb dieser Medien zu behindern. Das 1989 kollabierte System war ein Beweis dafür, wie gefräßig der Staat im Medienbereich werden kann, letztendlich ist er unter anderem daran gescheitert. Gerade läuft eine Debatte, wie weit der Pendelschlag gehen wird, wenn die PiS irgendwann mal die Macht verliert.

STANDARD: Welches Interesse hat die Regierung, die Pressefreiheit einzuschränken?

Krzeminski: Die Opposition einzuschüchtern und sich die Macht für die nächste Amtsperiode zu sichern. Das ist das eine. Das andere mag die Versuchung sein, die Polen nach eigenem Gusto zu erziehen. Es ist ein Versuch, sich vom liberalen Europa abzukoppeln.

STANDARD: Welche Rolle spielen die Medien selbst bei all diesen Entwicklungen, wie ist es um die Solidarität unter den Journalisten bestellt?

Krzeminski: Polen befindet sich in einem "Kulturkampf" um die Justiz, die Medien, das Schulwesen und den Standort Polens in Europa. Es dominiert ein Lagerdenken. Die bekanntesten entlassenen Journalisten übernahm das private Fernsehen, doch für gewerkschaftliche, frontenüberschreitende Solidarität – nicht nur unter Journalisten – ist kaum Platz. (Sebastian Fellner, 18.7.2017)