Im Bregenzer Festspielhaus werden auch große Gefühle besungen: Clarissa Costanzo (als Elcia) und Sunnyboy Dladla (als Osiride) in Rossinis Oper "Moses in Ägypten", die im Rahmen der Bregenzer Festspiele gezeigt wird.

APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Bregenz – Der Mann ist ein Macher, keine Frage, er nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Moses geigt dem Pharao ordentlich die Meinung. Zu Recht. Dieser ist nicht nur ein absoluter Herrscher und ein Gott, sondern auch König falscher Versprechen: "unbeständiger als ein Luftzug", wie es der Prophet beschreibt. Immer wieder zieht der wankelmütige Ägypter unter dem Einfluss der Einflüsterer sein Versprechen zurück, die Hebräer ziehen zu lassen.

Verständlich, dass Moses einen dicken Hals bekommt und sein Gott gleich mit dazu. Der ist nämlich ein ziemlich gewaltbereiter Typ. Er revanchiert sich also, von Gott zu Gott, und geißelt das ägyptische Volk mit Plagen aller Art: reichlich Insekten, Krankheiten und eine Finsternis. Und hier steigen wir ein, hier beginnt Rossinis Mosè in Egitto. Lotte de Beer hat Rossinis Oper, pardon: Rossinis Azione tragico-sacra, in Szene gesetzt, und die Niederländerin hat für ihre Inszenierung des opulenten Opus Landsleute mit ins Boot geholt, die man als Spezialisten der Miniatur bezeichnen könnte: das Theaterkollektiv Hotel Modern. Die filmen kleine Modelle und fingergroße Figürchen ab, und diese Bilder sieht man zeitgleich auf einem größeren Objekt.

Anfangs zu erblicken eine riesige Heuschrecke; dann legt sich Finsternis über eine staubige Stadt. Das sieht man gleich doppelt: Am vordersten Bereich der Bühne, dem Hauptarbeitsbereich des Kollektivs, zieht ein Hotelmitarbeiter eine Lampe von einem Stadtmodell weg. Und auf einer großen Kugel in der Mitte der Bühne kann man das Ganze als Liveaufnahme betrachten. Im weiteren Verlauf folgen Großaufnahmen leidender Miniaturpüppchen: beeindruckend, wie berührend diese wirken können.

Unsichtbare Macht

Doch de Beer hat Hotel Modern noch eine zweite Rolle zugedacht: Als ausführende Assistenten einer höheren, unsichtbaren Regiemacht stellen die Drei während der Ensembles Sänger und Choristen um und arrangieren sie zu malerischen Tableaus. Natürlich stellt sich die Frage: Wer zieht wirklich die Fäden, auf der Bühne wie im Leben? Toll auch: De Beer gewichtet diese Einsätze so feinfühlig, dass sie bei der Wahrnehmung der Oper kaum stören.

Plakativ und falsch gedacht ist lediglich das Schlussbild, als sie beim Ausharren der Hebräer vor dem Roten Meer diese mit den ertrinkenden Flüchtlingen gleichsetzt; suggeriert es doch, dass die Mittelmeerflüchtlinge von heute mit einem stärkeren Glauben ihren Weg durch die Meeresbarriere easy hätten finden können. Großartig sind in diesem Gesamtkunstwerk auch die anderen künstlerischen Beiträge – die Bühne von Christof Hetzer etwa: In einer wüstenähnlichen Landschaft steht auf einer Plattform mittig eine große Kugel. Das erdähnliche Ding dient als Projektionsfläche für die Videoaufnahmen und schaut auch so toll aus, da Alex Brok, ein Stimmungsmagier, beleuchtungsmäßig wahre Wunderdinge vollbringt. Zusammen mit Hetzers schlichten Kostümen ergeben sich so erd- und pastellfarbene Bilderkompositionen, an denen sich das Auge labt.

Auch musikalisch toll

Auch musikalisch überdurchschnittlich: Goran Juric ist ein Mosè mit bärenhafter Wucht und Weichheit, Andrew Foster-Williams muss als Faraone an seine Grenzen gehen, um seinem Basskollegen Paroli zu bieten. Sunnyboy Dladla bleibt als Thronfolger Osiride dank Spielfreude und eigenwilligem Timbre im Gedächtnis, von Mandy Fredrichs Amaltea hätte man sich mehr Esprit gewünscht. Clarissa Costanzo fesselt als sinnliche Elcia mit einem enormen emotionalen und timbretechnischen Portefeuille. Beeindruckend auch die zwei Charaktertenöre: der energische, trompetenhelle Matteo Macchioni (Aronne) und der schillernde Taylan Reinhard (als Mambre). Fein: Dara Savinova als Amenofi.

Im Orchestergraben – man spielt die Neapel-Fassung von 1819 – koordiniert mit Enrique Mazzola ein Energiebündel, Präzisionsfanatiker und Gefühlsvirtuose die Abläufe und animiert die Symphoniker zu Höchstleistungen. Er wisse nicht, ob "diese Makkaronifresser" in Neapel das Stück verstehen werden, schrieb Rossini vor der Premiere an seine Mutter. Den Käsknöpfleessern in Vorarlberg hat das Werk überdurchschnittlich gut gemundet: Begeisterung in Bregenz. (Stefan Ender, 21.7.2017)