Die Pensions- und Krankenversicherten sind auf viele Träger aufgeteilt.

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Wien – Eine Reform der Sozialversicherungen könnte ein großes Reformvorhaben für die nächste Regierung sein, schon im jetzt angelaufenen Wahlkampf ist sie ein Thema. Eine vom Sozialministerium in Auftrag gegebene Studie bei der "London School of Economics" (LSE) soll im August eine Handlungsanleitung dafür bringen. Industrie und Wirtschaftskammer haben mit eigenen Studien schon Vorschläge vorgelegt.

Ein wesentlicher Punkt der Diskussion ist die Forderungen nach einer Zusammenlegung der derzeit 21 Träger für Pensions-, Unfall und Krankenversicherung. Für alle drei Sparten zuständig sind nur die Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVB) und die Versicherungsanstalt für Eisenbahn und Bergbau (VAEB). Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) deckt die Pensions- und Krankenvorsorge ab, die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA) die Kranken- und Unfallversicherung. Die neun Gebiets- und die fünf Betriebskrankenkassen sind für die Krankenversicherung zuständig, für die beiden anderen Sparten die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) und die Pensionsversicherungsanstalt (PVA). Als Spezialfall haben die Notare noch eine eigene Pensionsversicherung.

Weniger Träger

Die von Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) bei der LSE in Auftrag gegeben Effizienzstudie, die im August vorliegen soll, soll unter anderem eine Reduktion der Träger prüfen.

Schon im März hat die Wirtschaftskammer ein "5-Träger-Modell" vorgeschlagen. Nach einer Empfehlung des Schweizer Beratungsunternehmens c-alm AG sollen demnach die PVA und die AUVA ebenso wie die BVA für die Beamten erhalten bleiben. Zusammengelegt sollen die neun Gebietskrankenkassen werden, ebenso sollen die SVA der Selbstständigen und die SVB der Bauern fusioniert werden. Letztere Fusion ist allerdings vor einigen Jahren schon einmal im letzten Moment gescheitert, obwohl sie schon praktisch ausgehandelt war.

Im Februar hat die Industriellenvereinigung auf Basis einer IHS-Studie vorgeschlagen, dass es statt der bisher neun Gebietskrankenkassen nur noch drei bis vier Kassen für Unselbstständige und eine bundesweite für Selbstständige geben solle. Die Zahl der Krankenkassen sollte sich demnach nicht nach Bundesländern richten, sondern nach topografischen Regionen, etwa nach den vier Versorgungszonen des Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG).

Gegen eine Fusion von Krankenkassen hat sich aber bereits vorsorglich Widerstand gebildet. So haben die SVA, die SVB, die BVA und die VAEB mit einem Gutachten der Verfassungsjuristen Theo Öhlinger und Konrad Lachmayer eine Eingliederung ihrer Träger in die neun Gebietskrankenkassen als verfassungswidrig abgelehnt, weil es dem in der Verfassung verankerten Prinzip der Selbstverwaltung ihrer Berufsgruppen widersprechen würde.

Sowohl in der noch nicht vorliegenden LSE-Studie als auch in den bereits vorgelegten der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung wird als weiterer wichtiger Reformansatz eine Vereinheitlichung der unterschiedlichen Leistungen der Krankenkassen angeführt. Hier hat der Hauptverband der Sozialversicherungsträger bereits eine Harmonisierung für 11 von 23 Leistungsbereichen beschlossen.

So sollen etwa noch heuer die unterschiedlichen Regelungen für Krankengeld bei Spitalsaufenthalt, für Zahnspangen, für Zuschüsse zur Zeckenimpfungen, für Transportkosten sowie für Rollstühle und für Windeln vereinheitlicht werden. Im Herbst will der Hauptverband dann die Harmonisierung der zwölf weiteren Leistungsgruppen angehen. Dabei geht es dann etwa um unterschiedliche Zuschüsse zu Zahnersatz oder Psychotherapie, wobei dafür teilweise auch Gesetzesänderungen nötig sein werden.

Selbstverwaltung wird diskutiert

Gerüttelt wird auch an der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen. So tritt die Industriellenvereinigung auf Basis der IHS-Studie für eine stärkere Trennung von Management der Kassen und politischer Ebene ein. Die Geschäftsführung solle von einem professionellen Management ausgeübt werden, die Versichertenvertreter sollten sich auf die Überwachung der Geschäftsführung (Aufsichtsmodell) konzentrieren.

Die Selbstverwaltung ist in der Verfassung geregelt und soll die Mitwirkung des Volkes an der Verwaltung sicherstellen. Die Selbstverwaltungskörper werden aus Vertretern der unmittelbar betroffenen Personengruppen gebildet, also etwa bei den Gebietskrankenkassen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Sie unterliegen keinem Weisungsrecht, allerdings unterliegen sie der Aufsicht durch das Sozial- bzw. das Gesundheitsministerium. Die Sozialversicherung basiert auf dem Grundsatz der Solidarität – etwa zwischen schutzbedürftigen und weniger schutzbedürftigen Personen oder zwischen Erwerbstätigen und Pensionisten. Angesichts der Pflichtversicherung sind 99,9 Prozent der Bevölkerung in der sozialen Krankenversicherung geschützt.

Die Wurzeln der Sozialversicherung reichen bis ins Mittelalter zurück, wobei zunächst den Selbsthilfeorganisationen, später vor allem den "Bruderladen" der Bergleute große Bedeutung zukam. Aufgabe der Bruderladen war, für Krankenbehandlung und Sterbegeld zu sorgen und Vorsorge für die Invalidität zu tragen. Zu einer gesetzlichen Regelung der Sozialversicherung im heutigen Sinn kam es erstmals im Jahre 1889, als sämtliche gewerbliche und industrielle Arbeiter und Angestellte, mit Ausnahme der Landarbeiter, von der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst wurden. Die Selbstverwaltung wurde eingeführt. Mit dem 1956 in Kraft getretenen Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) wurden praktisch alle Berufsgruppen in der Kranken-, Unfall und Pensionsversicherung zusammengefasst. Dass die Sozialversicherung ständigen Reformen unterworfen ist, zeigt die Tatsache, dass das ASVG seither schon mehr als 70 Novellen erlebt hat. Pläne für eine Neukodifizierung sind vor allem an der Komplexheit der Materie gescheitert. (APA, 21.7.2017)