Zuerst die "Sonne", dann dominiert die Munch-Schau Unheimliches.

Foto: Munch-Museum

Was für Klimt der Kuss ist, ist für Edvard Munch der Schrei: ein Motiv, das sich dank millionenfacher Reproduktion populärkulturell verselbstständigt hat. Zugleich verengt Der Schrei das Bild vom norwegischen Maler: Der expressionistische Pionier und wichtige Vertreter des Symbolismus hinterließ nämlich ein äußerst vielgestaltiges Werk, das immerhin 1750 Gemälde, 4500 Aquarelle und 18.000 Drucke umfasst.

Mehr als die Hälfte davon befindet sich im Munch-Museum in Norwegens Hauptstadt, die der Künstler als Universalerbin einsetzte. Der Bau wurde zwar in den 1990ern erweitert, dennoch ist seine Ausstellungsfläche eigentlich beschränkt, es kann immer nur ein kleiner Teil von Munchs Œuvre gezeigt werden. Ab 2020 soll übrigens ein Neubau im Zentrum Oslos Abhilfe schaffen.

Im Munch-Museum läuft (bis 8. 10.) eine besondere Schau: Das liegt vor allem daran, dass sie von Norwegens Literaturstar Karl Ove Knausgård – er wird am Freitag in Salzburg den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur erhalten – kuratiert wurde, der nicht nur wegen seines Ruhms zu diesem exklusiven Job kam, sondern auch ein Kunstgeschichtestudium an der Uni Bergen vorzuweisen hat.

Debüt als Kurator

Knausgård ging die Sache mit der ihm eigenen Gründlichkeit an: Er arbeitete eineinhalb Jahre lang am Debüt als Kurator und schrieb daneben auch ein Buch über sein Verhältnis zu Munch. Herausgekommen ist eine sehr eigenwillige Ausstellung unter dem Titel Mot Skogen ("Zum Wald"), die einen unverstellten Blick auf Munch wiedergewinnen will.

Es beginnt damit, dass er Munch-Ikonen wie den Schrei wegließ und Bilder auswählte, die seit Jahrzehnten nicht mehr oder überhaupt noch nie gezeigt wurden. Dazu kommt, dass er die mehr als hundert Bilder und Dutzende Drucke frei von jeder Chronologie oder Biografie hängen ließ; Begleitinformationen oder Audioguide gibt es auch nicht. Stattdessen hat Knausgård vier thematische Blickschneisen durch Munchs Werk geschlagen, die starke Eindrücke vermitteln: Den Auftakt bildet ein harmonischer, heller Raum, in dem einige der spektakulär bunten Sonnen, aber auch freundliche Parkmotive mit Menschen hängen.

Brutale Kräfte der Natur

Danach geht es ab in den Wald und ins Unheimliche: Die Menschen verschwinden aus den Bildern, übrig bleiben die mitunter brutalen Kräfte der Natur. Im dritten Abschnitt bleibt das Unheimliche dominant, auch wenn es einen Szenenwechsel vollzieht. Es zeigt sich nicht mehr am Äußerlichen der Natur, sondern kommt aus dem Inneren: in den Abgründen des Künstlers, in seinem kreativen Chaos.

Der vierte Teil der viersätzigen Munch-Sinfonie kommt überraschend: Der letzte Raum ist voll mit eng gehängten lebensgroßen Porträts, die vor Augen führen, dass Munch auch ein großartiger Porträtmaler war, der mit wenigen Pinselstrichen zum Wesen einer Persönlichkeit vorstieß. Wer Munchs Schrei in seiner Erstfassung sehen will, muss aktuell nach Kalifornien reisen. Im San Francisco Museum of Modern Art eröffnete kürzlich eine Werkschau, die kleiner ist als Knausgårds Ausstellung.

Um den Munch-"Wald" zu betreten und zu verlassen, muss man in Oslo ohnehin durch den Museumsshop durch. Und da gibt es Munchs Ikone unter anderem auch auf Pfannenhebern und auf Espressotassen abgebildet. (Klaus Taschwer aus Oslo, 22.7.2017)