Proteste in der Türkei zum Prozessauftakt in Istanbul.

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#JournalismIsNotaCrime: Demo für Pressefreiheit.

Istanbul – Rund acht Monate nach ihrer Inhaftierung hat in Istanbul der Prozess gegen mehr als ein Dutzend Mitarbeiter der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhuriyet" begonnen. Den 17 Journalisten und Managern wird die Unterstützung "terroristischer Gruppen" vorgeworfen. Der Auftakt am Montag in Istanbul wurde von scharfer internationaler Kritik begleitet.

IPI, Reporter ohne Grenzen und andere Menschenrechtsorganisationen beobachten die Verhandlung in Istanbul. Die Rechercheplattform Correctiv – sie ist Kooperationspartner des STANDARD – berichtet auf Facebook vom Prozess.

Vorwurf: "Unterstützung terroristischer Gruppen"

Zu den Angeklagten zählen der derzeitige Chefredakteur Murat Sabuncu, der langjährige Kommentator Kadri Gürsel und der Karikaturist Musa Kart. Ebenfalls angeklagt ist der Enthüllungsjournalist Ahmet Sik, der in der Vergangenheit wegen eines kritischen Buchs über die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen inhaftiert war.

In Abwesenheit angeklagt ist der frühere Chefredakteur Can Dündar, der sich derzeit in Deutschland aufhält. Dündar war 2016 wegen eines Berichts der Zeitung über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdiensts an islamistische Rebellen in Syrien zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Während des Berufungsverfahrens reiste er nach Deutschland aus.

Den "Cumhuriyet"-Mitarbeitern wird Unterstützung der Gülen-Bewegung, der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der linksextremen DHKP-C vorgeworfen. Die Zeitung betont jedoch, sie habe stets kritisch über alle drei Organisationen geschrieben und unterhalte keinerlei Verbindungen zu ihnen. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen (ROG) drohen den Angeklagten bis zu 43 Jahre Haft.

"Schweigt nicht! Freie Medien sind ein Recht!"

Der Prozess wurde international kritisch verfolgt. "Schweigt nicht! Freie Medien sind ein Recht!", riefen Unterstützer der Angeklagten vor dem Gerichtshaus in Istanbul und ließen bunte Luftballons aufsteigen. Der Prozessauftakt fiel auf den 24. Juli, an dem in der Türkei in Erinnerung an die Aufhebung der Zensur im Jahr 1908 die Pressefreiheit gefeiert wird.

ROG nannte die Vorwürfe gegen die "Cumhuriyet"-Mitarbeiter "absurd". Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) forderte ein sofortiges Ende des Verfahrens und die Freilassung der Inhaftierten. Der Beauftragte für Medienfreiheit OSZE, Harlem Desir, teilte mit: "Ich fordere die Türkei hiermit auf, alle Anschuldigungen fallenzulassen, alle Journalisten, die wegen ihrer Arbeit inhaftiert wurden, freizulassen, und dringend benötigte Reformen einzuleiten, um die Medienfreiheit im Land zu schützen." Auch der Präsident des Österreichischen Journalisten Clubs (ÖJC), Fred Turnheim, rief zur Solidarität mit den in der Türkei inhaftierten Journalisten auf.

Mehr als 150 Journalisten im Gefängnis

Nach Angaben der Europäischen Journalistenvereinigung befinden sich dort inzwischen mehr als 150 Journalisten im Gefängnis. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte jedoch kürzlich, dass nur "zwei echte Journalisten" hinter Gittern seien. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 155 von 180 – hinter Weißrussland und der Demokratischen Republik Kongo.

Seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 und der Verhängung des Ausnahmezustands gehen die türkischen Behörden mit besonderer Härte gegen kritische Journalisten vor. Nachdem dutzende kritische Medien geschlossen wurden, ist die 1924 gegründete "Cumhuriyet" eine der letzten unabhängigen Stimmen in der Türkei.

"Laut der Regierung sind alle Oppositionellen Terroristen. Nur sie selbst sind keine Terroristen", sagte die Abgeordnete Filiz Kerestecioglu von der prokurdischen Oppositionspartei HDP. Der Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen, Christophe Deloire, sagte, nicht nur "Cumhuriyet", sondern "der gesamte Journalismus in der Türkei" stehe in Istanbul vor Gericht. (APA, 24.7.2017)