"Es bleibt jedem vorbehalten, für seine Zeit zu singen": Burghart Klaußner lässt Hanns Eisler und Hans Bunge wiederaufleben.

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Gmunden – Als junger Schauspieler erwarb Burghart Klaußner bei einem Besuch in der DDR eine wichtige Schallplatte. Sie enthielt jene Gespräche, die der Germanist und Brecht-Assistent Hans Bunge mit dem Komponisten Hanns Eisler geführt hatte. Im Berliner S-Bahnhof Friedrichstraße, dem damaligen Grenzübergang, investierte Klaußner jenes Geld, das man beim Übertritt zwangsumtauschen musste, in diesen außergewöhnlichen Speicher eines Kunstdiskurses. Vierzig Jahre später – die Gespräche sind längst in Buchform erschienen (derzeit vergriffen) – wiederbelebt sie Burghart Klaußner für die Bühne, ergänzt um Musiken Hanns Eislers.

STANDARD: Was hat Sie damals bewogen, die Schallplatte zu kaufen?

Klaußner: Ich war ein junger Mann an der Schaubühne, wo Brechts Die Mutter mit Therese Giehse gespielt wurde; dabei hat mich die Musik Eislers ungeheuerlich beeindruckt. Und wie sich dann für mich herausstellte, gehören diese Gespräche zum Intelligentesten und Amüsantesten, was es über Kunst im 20. Jahrhundert zu sagen gibt. Sie handeln aber auch von der Exilzeit mit Brecht, Feuchtwanger oder Thomas Mann und erzählen von der Haltung zur DDR, zur internationalen Arbeiterbewegung, zur kommunistischen Internationale, auch zur österreichischen KP. In den 70er- und 80er-Jahren waren diese Gespräche ein echtes Kultbuch.

STANDARD: Die Gespräche wurden ursprünglich fürs Radio aufgenommen, insgesamt zwölf Stunden. Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie gekürzt?

Klaußner: Damit es nicht zu Brecht-lastig wird, was die Gespräche ja nicht sind, habe ich dahingehend gekürzt. Aus dem Titel Fragen Sie mehr über Brecht wurde Fragen Sie mehr.

STANDARD: Inwiefern war es für Sie eine Option, den Eisler-Tonfall zu übernehmen?

Klaußner: Ich werde mich hüten, als Deutscher den Wiener Tonfall vorzutragen. Größere Eulen könnte man nach Athen gar nicht tragen! Aber die Formulierungskraft und das Amüsement dieser Gespräche ist im Geschriebenen schon so deutlich, dass es sich selbst als Gestus vermittelt und keinerlei Verstärkung bedarf.

STANDARD: Eisler und Brecht haben auch politische Überzeugungen geteilt und das in ihren gemeinsamen Liedern auch ausgedrückt. War diese Musik der Linken damals gar die eigentliche Hochkultur?

Klaußner: Ich denke ja. Es ist nur so: Wenn man rückblickend auf das 20. Jahrhundert diese Musik hört, wird einem schlagartig klar, wie schon in der Geburtsstunde dieser Komposition das Scheitern mitkomponiert war. Es schwebt über allen diesen Musiken Hanns Eislers eine merkwürdige Melancholie, die gebrochene Haltung des Vorausschauenden. Irgendwann spürt auch der größte Utopist, dass es vielleicht nichts wird. Wenn wir die Geschichte des 20. Jahrhunderts als eine des großen Scheiterns von Utopien betrachten, dann finden wir das auf eigentümlich berührende Weise in diesen Musiken wieder. Das sind nicht allein die Kampflieder, Eisler war ein großer Avantgardekomponist und nicht umsonst Schüler von Schönberg.

STANDARD: Eisler hat fallweise ganz genaue Angaben notiert, wie ein Lied zu singen sei. Da heißt es zum Beispiel: "mit der Zigarette im Mundwinkel, Hände in den Hosentaschen, leicht grölend". Haben Sie sich das zu Herzen genommen?

Klaußner: Ich denke, das sind rein feuilletonistische Anmerkungen. Schon wenn Eisler selbst vorträgt, dann zerschlägt er das Klavier ja mehr, als er es bezirzt. Da muss man den Anlass immer mitbedenken, für den die jeweiligen Lieder komponiert wurden. Es bleibt jedem vorbehalten, für seine Zeit zu singen. Wenn wir das heute hören und darstellen, wenn also einer wie ich hingeht und sagt, es lohnt sich noch, denn da ist wertvollste Erinnerung wie die Fliege im Bernstein aufgehoben, dann verlangt das nach einer Haltung aus der heutigen Zeit. Die Lieder, die ich vortrage, kommen aus einer ganz tiefen Melancholie.

STANDARD: Die Gespräche waren für Sie ein Erweckungserlebnis. Ist das Besondere daran auch der von Theorielast befreite "Plauderton"?

Klaußner: Es ist ganz einfach: Wenn man klug befragt wird, dann kommt dabei auch etwas raus. Es gibt von Brecht den Satz: "Gib es nur her, dein Wissen!" Man muss den Leuten das Wissen entreißen. Von selbst gibt keiner genügend Auskunft. Durch die Fragen Hans Bunges wird dem Hanns Eisler seine ganze Klugheit abverlangt. Er scheint geradezu über seinem Sessel zu schweben, weil ihn sein eigenes Denken so mitreißt. Zum anderen aber ist Eisler auch ein Mensch, der unkonventionell zu denken vermochte. Er spricht etwa über die Funktion des Ohres im Lauf der Menschwerdung. Er fragt, warum ausgerechnet das Ohr das am weitesten zurückgebliebene Organ des Menschen geworden ist. Dazu stellt er außerordentliche Verknüpfungen her.

STANDARD: "Mehr Toni Erdmann" haben Sie sich unlängst gewünscht. Auch sind Sie ein bekennender Johann-Nestroy-Adorant. Fehlt Ihnen Leichtigkeit in den Formen?

Klaußner: Es fehlt auf jeden Fall eine Leichtigkeit. Es fehlt aber auch das Sichbefreien von vorhandenen Mustern. Darin war der Nestroy ein Weltkünstler. Ich versuche seit Jahren, Nestroy in Deutschland durchzusetzen! Zu schreiben, "Ich möcht' nie arm sein, auch wenn man mir a Million dafür gibt!", das können nur ganz Große.

STANDARD: Sie haben gesagt: Je mehr die Religiosität schwindet, umso mehr Bedeutung erhalten Kunst und Kultur. Da Kunst allerdings eine bürgerliche Sache geblieben ist, muss ja eine Kluft entstehen?

Klaußner: Ja! Es ist Aufgabe jeder zivilisierten Gesellschaft, die Künste zu fördern, weil sie die Menschen erziehen zu Anstand, Menschlichkeit und Offenheit. Wo das nicht geschieht, entstehen Lücken, und dort verbreitet sich Dumpfheit, wenn ich mir gestatten darf, das so zu formulieren. Es ist ja heute schon schwierig zu sagen, wir brauchen weder den Islam noch das Christentum, diese Haltung ist beinahe ausgestorben. Letztlich gilt natürlich für einen aufgeklärten Geist: Die Religion ist Opium für das Volk. (Margarete Affenzeller, 25.7.2017)