Wien – Seit Montag stehen in der Türkei mehrere Mitarbeiter der regierungskritischen "Cumhuriyet" vor Gericht. Nach dem Putschversuch im vergangenen Jahr haben sich die Bedingungen für freie Berichterstattung massiv verschlechtert. Die Türkei liegt in der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit 2016 auf den hinteren Plätzen. Ganz vorne befindet sie sich indes bei der Anzahl inhaftierter Journalisten.

Massiv verschlechterte Lage

In fast zwei Drittel aller 180 von Reporter ohne Grenzen (ROG/RSF) untersuchten Ländern verschlechterte sich die Situation für Medien und Journalisten. Am deutlichsten zeigte sich jedoch der Trend bei der Türkei, die in den vergangenen zehn Jahren um 54 Plätze nach unten gerutscht ist und nun mehr auf Platz 155 von 180 liegt – hinter Weißrussland und der Demokratischen Republik Kongo. ROG reiht die Staaten nach Medienvielfalt, Medienunabhängigkeit, Transparenz, Selbstzensur, den gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Sicherheit von Journalisten.

Seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 und der Verhängung des Ausnahmezustands gehen die türkischen Behörden mit besonderer Härte gegen kritische Journalisten vor. Die Zahlen der Inhaftierungen gehen dabei auseinander. Während ROG online aktuell 49 inhaftierte Journalisten listet, befinden sich nach Angaben der türkischen Medienplattform P24 und der Europäischen Journalistenvereinigung (EFJ) rund 165 Medienschaffende im Gefängnis.

49 inhaftierte Journalisten laut Reporter ohne Grenzen

Die Diskrepanz erklärt ROG dadurch, dass in Dutzenden Fällen "ein direkter Zusammenhang der Haft mit der journalistischen Tätigkeit wahrscheinlich" sei, dies sich aber derzeit nicht nachweisen lasse, "denn die türkische Justiz lässt die Betroffenen und ihre Anwälte oft für längere Zeit über die genauen Anschuldigungen im Unklaren". Auch ist der Unterschied laut EFJ darauf zurückzuführen, dass teilweise nicht nur Journalisten, sondern auch andere Medienmitarbeiter gezählt werden.

Im weltweiten Vergleich liegt die Türkei damit an der vordersten Stelle. Laut dem Barometer für Pressefreiheit 2017 von ROG führt die Türkei das Feld allein mit den 49 inhaftierten Journalisten weit vor China und Ägypten (beide 21) an. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam das "Komitee zum Schutz von Journalisten" (Committee to Protect Journalists/CPJ) Ende 2016. Die Nonprofit Organisation zählte vor rund einem halben Jahr 81 inhaftierte Journalisten in der Türkei, dahinter rangierten China (38) und Ägypten (25). Weltweit saßen demnach zu diesem Zeitpunkt insgesamt 259 Reporter im Gefängnis.

Vorwurf: Unterstützung von Terrororganisationen

Die Anschuldigungen – wenn bekannt – sind beinahe immer dieselben: Nach Angaben der Anwälte der "Cumhuriyet"-Angeklagten wird ihnen Unterstützung von Terrororganisationen wie der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, der Gülen-Bewegung (FETÖ) oder der linksextremen DHKP-C vorgeworfen. Die Regierung macht die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Den "Cumhuriyet"-Angeklagten drohen laut ROG damit 43 Jahre Haft.

Auch ließ Erdogan im vergangenen Jahr Dutzende Medien und Verlage schließen. ROG und P24 sprechen dabei von mehr als 150 Schließungen ohne Richterbeschluss. Laut ROG-Angaben von Anfang Juli wurden zudem auch 700 Presseausweise annulliert. (APA, 25.7.2017)