Auf der Suche nach Nahrung finden wir bei Fischer Nedo das Schwanzteil einer Hama.

Foto: Bogumil Balkansky

Das größte Privileg meiner Armut ist es, mein Kind aufwachsen zu sehen, in fast jeder Minute dabei zu sein, wie es langsam zum Menschen wird. Mein anderes Privileg ist eine kleine Erbschaft. Sie besteht aus einer riesigen Pinie, einigen Zypressen, zwei lästigen Palmen, einem Olivenbaum, einem süßen Feigenbaum – und einem Haus am Meer. Hier bin ich jeden Sommer Robinson mit Sohn.

Was ist ein "Barba"?

Im Allgemeinen meinen die Dalmatiner mit "Barba" den Onkel, allerdings nur den der väterlichen Seite. Und dann meinen sie damit auch noch den Kapitän ihres Schiffes. Falls das Schiff auch noch dem Barba gehört, wird er "Gospodar" genannt. Das bedeutet Herr oder Herrscher.

Wir wissen, dass Alexander Selkirk alias Robinson Crusoe ein exzellenter Navigator ist, der wegen seines schwierigen Charakters auf einer Insel ausgesetzt wird. Das trifft beides auf mich auch zu, aber ich komme ganz freiwillig. Mit meinem Sohn. Und unser "Freitag" – natürlich im besten Sinne einer langjährigen Freundschaft – ist Mate, der Chronist. Vieles, was ich über die Geschichte und die Geschichten von Sutivan weiß, weiß ich von Mate. Und mein Sohn nennt ihn inzwischen nur Barba Mate.

Wie man zur Glut kommt

Wie einst Robinson machen wir uns am ersten Tag auf die Suche nach Nahrung. Diese finden wir bei Fischer Nedo. Es ist das Schwanzteil einer Hama. Das ist ein adriatischer Fisch, der bereits fast ausgestorben ist, aber seit heuer wieder nachgezüchtet wird. Nedo hat ihn aus einem riesigen Käfig, der unweit von Brač verankert ist. Und er macht mir einen guten Preis.

Mittags, wenn die Hitze unerträglich wird, sage ich: "Komm, Sohn, wir gehen in den Gemeindewald und klauen Feuerholz!" Mein Sohn ist unwillig: "Warum jetzt? Es ist so heiß!" Ich sage: "Genau deswegen, mein Sohn! Mittags befällt die Leute hier eine Gehirnlähmung, Fjaka genannt. In Spanien heißt das Siesta, aber in Dalmatien ist das mehr ein Komazustand, der bis 16 Uhr andauert, weswegen wir praktisch unsichtbar sind und Feuerholz klauen können, so viel wir brauchen!" Mein Sohn ist von der Aussicht, unsichtbar zu sein, begeistert.

Doch Pinienholz hat den Ruf, keine gute Glut zu machen. Das ist zwar wahr, aber es gibt Tricks, auch aus der Pinie genug gute Glut zu bekommen, um einen Ochsen zu grillen. Diese Tricks zeige ich anschließend meinem Sohn. Aber ich werde es hier nicht schreiben. Das ist nur für meinen Sohn. Nur so viel: Das Feuer entzünden wir mit der alten Leselupe meiner Oma. Die Hama schmilzt in unseren Mündern.

Wozu Palmen wirklich taugen

Am nächsten Tag beginnen wir mit dem Bau einer provisorischen Unterkunft – im Haus schlafen kann ja jeder. Mein größter Spaß besteht im Rupfen der unerträglichen Palme, die wir meiner Oma verdanken. Sie hebt mit ihren Wurzeln einen Teil meiner Veranda, wo ich im Sommer lebe und arbeite. Das geht gar nicht! Eines Tages muss ich sie beseitigen.

Aber heute ist sie gut genug, um das Deckmaterial für eine Palmenhütte zu sein. Die Balken für das Skelett bekomme ich, als ich eine verkümmerte Zypresse fälle, die leider in die Stromleitung wächst. Mein Sohn hantiert bald mit der Axt wie einst Bruno Kreisky in Schweden. Wir singen: "Avanti o popolo, alla riscossa, bandiera rossa ..."

Ein Hubschrauber kreist eine Weile über meinem Haus, bis die Besatzung feststellt, dass der Rauch aus einem gemauerten Kamin kommt und somit alles nach Vorschrift mit meinem Feuer ist. Wir singen "Police in Helicopter" und anschließend "I Shot the Sheriff" – allerdings in der Version von Screamin' Jay Hawkins. Später kommt Bura auf, und wir schlafen im Haus. Am Morgen müssen wir mit dem Bau der Hütte von vorne beginnen. Unsere Badetücher finden wir im Garten des Nachbarn, die Luftmatratze nie wieder.

Schlange schmeckt!

Wir kommen vom Strand. Auf dem Parkplatz verschlingt eine veritable Hornviper ein Spatzenjunges. Der Jäger erwacht! Es ist der ideale Zeitpunkt, um eine Giftschlange zu erwischen. Mit dem Vogel im Maul ist sie unfähig, mich zu beißen. Ich werfe das Badetuch über sie, nehme einen Stein und erschlage sie. Hier das Rezept:

Schlange den Kopf abschneiden, Spatzenjunges im Maul lassen (Vorsicht: Die Zähne und die Giftdrüsen sind noch da!), sie häuten und mit dem Daumen die inneren Organe herausdrücken. Schlange in dickere Scheiben schneiden und ein Brudet zubereiten. Das Brudet: Zwiebeln anschwitzen, gestückelte Tomaten und diverses Gemüse dazugeben, ein wenig dünsten, mit Wein ablöschen, Wasser dazugeben, weiter dünsten. Am Ende Schlange dazugeben, noch zehn, zwanzig Minuten dünsten – fertig.

Zum Schlangenbrudet trinke ich Rotwein, mein Sohn Cola. Das blutige Badetuch werfen wir in den Mist, den Kopf trockne ich über dem Kamin, bis alles Gift verdorrt ist. Wir werden ihn nach Wien mitnehmen. Da kommt er zum Lammbecken, einem skelettierten Katzenschädel und dem Seeigel, die mein Sohn letztes Jahr als Trophäen mitnimmt. Lamm und Katze sind Fundstücke, ich habe sie nicht ermordet.

Nur die Sterne über uns

Abends liegen wir auf dem warmen Beton vor dem Kamin. Mein Sohn will wissen, wohin die toten Lebewesen gehen. Ich sage ihm: "Alles ist nur Sternenstaub, mein Kind." Er fragt: "Auch die Schlange, Papa?" Ich sage: "Auch die Schlange." Er will es noch genauer wissen: "Und der Uropa Đuro, der Adolf Hitler erschossen hat? Und die Uroma Ružica, die Eva Braun erschossen hat?" – "Auch die", sage ich. "Und Adolf Hitler und Eva Braun?"

Ganz ehrlich: eine gute Frage. Ich sage: "Sogar die, mein Sohn. Und jetzt schlaf endlich ein!"

Dann zeige ich ihm den Polarstern und wie man ihn mithilfe des Großen Bären finden kann. Und sage ihm, dass er ein Stern des Kleinen Bären ist. So, wie es mir damals Tante Jasmina zeigt. Und sie weiß davon von ihrem Vater, dem Kapitän zur See, Barba Vjekoslav. Der schon lange wieder Sternenstaub ist. So wie seit kurzem auch Tante Jasmina.

Am nächsten Tag kommt die Mama. Nach einer Woche Robinson mit Sohn ist es Zeit. Ich gehe mittags in den Gemeindewald. Dieser Sommer wird wieder heiß, lang und voll stiller Abenteuer.

Ich bin glücklich. (Bogumil Balkansky, 25.7.2017)