Weichenstellungen zwischen Nah- und Regionalverkehr, privaten Schnell- und Güterzügen erfordern Taktgefühl und Rechenleistung. Die ÖBB-Infra gerät dabei mitunter in Konflikt mit ihrer Schwester.

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Wien – Die von Stadt Wien und Land Niederösterreich geplante Ausweitung des Schnellbahn-Taktverkehrs auf der Flughafenbahn nach Wolfsthal im September hängt in der Luft. Das legt zumindest ein Brief nahe, in dem sich der ÖBB-Personenverkehr bei seiner für den Betrieb des Schienennetzes zuständigen Konzernschwester ÖBB-Infrastruktur bitterlich beschwert. Es geht um die Zuteilung von Fahrwegkapazitäten, also Trassen (Slots), die der ÖBB-Personenverkehr für seine Nah- und Regionalzüge im östlichen Niederösterreich und auf der Weststrecke braucht.

Laut Netzfahrplanentwurf vom 3. Juli "wurde eine Vielzahl unserer Trassenbegehren seitens der ÖBB-Infrastruktur gar nicht oder mit für uns nicht vertretbaren Abweichungen realisiert", schreibt das aus Valerie Hackl und Evelyn Palla bestehende ÖBB-Personenverkehr-Vorstandsduo in dem Brief, der dem STANDARD vorliegt.

Probleme von Ost bis West

Betroffen ist davon nicht nur der Verkehrsverbund Ost-Region (VOR), sondern auch die Bundesländer Oberösterreich, Salzburg, Vorarlberg und Steiermark – und der Fernverkehr.

Der Grund der Auseinandersetzung: Die Trassenwünsche der ÖBB als Erbringer gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Auftrag des Bundes und der Länder (Letzteres im Wege der Verkehrsverbünde, Anm.) sind insbesondere im Großraum Wien mit jenen der Westbahn nicht kompatibel.

Cat blockiert mehr Pendlerzüge

Im Fall der Flughafenstrecke nennen mit Netzplanung vertraute Personen als einen Grund für den Disput pikanterweise die eigene Tochter des ÖBB-Personenverkehrs (ÖBB-PV), den City Airport Train (Cat). Die Flughafenschnellverbindung, die die ÖBB gemeinsam mit dem Flughafen betreibt, verunmögliche die Verdichtung der Pendlerzüge von Wien nach Wolfsthal von Halb- auf Viertelstunden-Takt.

Nun versuche man mit dem VOR, zumindest vier Züge pro Stunde unterzubringen. Was auch deshalb noch nicht gelungen sei, weil Westbahn ab Fahrplanwechsel im Dezember nicht nur bis Hauptbahnhof fahren will, sondern bis zum Bahnhof Wien-Nord, also über die S-Bahn-Strecke zum Praterstern, erfuhr der STANDARD in Bahnkreisen. Da es auf der Wiener Schnellbahnstammstrecke zwischen Rennweg und Praterstern aber in der Hauptverkehrszeit ebenso Engpässe gebe wie zwischen Rennweg und Flughafen, verlangt der ÖBB-Personenverkehr von seiner Schwester die Einleitung eines formalen Koordinierungsverfahrens. Kommt dabei nichts heraus, muss der Bahnregulator Schienen Control den Trassenstreit lösen.

ÖBB befürchtet "heftige Kundenkritik"

Die für Bahnbau und Netzbetrieb zuständige ÖBB-Infra setzt hingegen auf den Verhandlungsweg. Wie den Beilagen des ÖBB-Beschwerdebriefs zu entnehmen ist, bietet sie ihrer Schwester von Wien-Floridsdorf nach Wolfsthal eine Trasse um 15.03 Uhr an. Die ÖBB-Personenverkehr AG beharrt aber auf Abfahrt um 15.15 Uhr. Mit der Abweichung um zwölf Minuten werde "die erwartete Nachfrage nicht lukrierbar sein", warnt der ÖBB-PV. Und: "Heftige Kundenkritik ist zu erwarten" – weil die Einführung des Parkpickerls in Wien-Favoriten zu "Überfrequenzen im bestehenden Angebot" führen könnte.

Ein weiterer Grund zur Beanstandung seitens des ÖBB-Personenverkehrs ist die von der ÖBB-Infra geplante Auflassung des Taktknotens Amstetten. Auslöser ist auch hier Westbahn, die ab Dezember zusätzliche Züge vom Wiener Hauptbahnhof nach Westen führen wird. Ein Verlust des Taktknotens würde bedeuten, dass Züge aus Linz oder Salzburg nicht mehr zeitgleich mit jenen aus Wien ankämen.

Bedrohung für integrierten Taktfahrplan

Der integrierte Taktfahrplan, bei dem von einem Taktknoten jede Stunde in alle Richtungen Anschlusszüge ankommen und abfahren, wäre perdu. "Für die Fahrgäste sind vernetzte Taktverkehre essenziell", sagt ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder. "Wir wollen Taktknoten erhalten und ausbauen – auch in Amstetten, der für den Nahverkehr wichtig ist." Der vorliegende Netzfahrplanentwurf brächte für die ÖBB-Fahrgäste Verschlechterungen. Schafft die ÖBB-Infra keine Verhandlungslösung, ist das Ergebnis absehbar: Der Regulator müsste dem von der öffentlichen Hand finanzierten Pendlerverkehr Vorrang geben, Westbahn und andere kommerzielle Konkurrenten wären auf schlechtere Verbindungen verwiesen. (Luise Ungerboeck, 26.7.2017)