Proteste in Istanbul gegen den Journalistenprozess.

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Istanbul – Seit Montag läuft der Prozess gegen 17 Mitarbeiter der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhuriyet". Reporter ohne Grenzen (ROG) und andere Menschenrechtsorganisationen beobachten die Verhandlung in Istanbul. "Der Prozess ist die politische Rache von Anwälten, die von der Regierung kontrolliert werden, um Journalisten zu bestrafen", sagte ROG-Vertreter Johann Bihr am Mittwoch der APA.

"Die Journalisten von 'Cumhuriyet' werden strafrechtlich verfolgt wegen ihrer Kritik an dem autoritären Kurs der Regierung", ist sich Bihr sicher, der die ersten zwei Verhandlungstage im Gerichtsgebäude im Istanbuler Stadtteil Caglayan verfolgt hat. Bei den Anhörungen hätten sich alle Fragen um die redaktionelle Ausrichtung der Zeitung gedreht, so Bihr. Die Richter hätten etwa die Wahl der Überschriften der Berichte thematisiert. Diese sollen unter dem Diktat der Terrororganisationen wie der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen (FETÖ) oder der linksextremen DHKP-C entstanden sein. Die Regierung macht die Bewegung des in den USA lebenden Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich.

Pressefreiheit auf dem Spiel

Laut Bihr richtet sich das Verfahren nicht nur gegen die Angeklagten und die Zeitung, sondern gegen die Pressefreiheit. "Es ist offensichtlich, dass hier die Pressefreiheit auf dem Spiel steht", so der Prozessbeobachter. "Die Tatsache, dass Berichte, die sich kritisch gegen die Regierung richten, als Basis zur Unterstützung von Terroristen genommen werden, sendet eine Botschaft an alle Journalisten in der Türkei, dass sie manche Themen nicht behandeln können und wenn doch, auch Gefahr laufen ins Gefängnis zu kommen", zeigte sich Bihr beunruhigt.

Die Anschuldigungen beziehen sich auf die alltägliche Arbeit von Journalisten: Die Angeklagten sollen von Personen angerufen worden sein, die verdächtigt werden, der Gülen-Bewegung anzugehören. Neben Telefonanrufen werden auch Finanztransaktionen als Beweismaterial für den Kontakt oder die Unterstützung einer Terrororganisation angeführt. Die Zahlungen sind laut Angaben der Angeklagten etwa dafür aufgewendet worden, die Werbung oder den Druck der Zeitung zu zahlen.

Absurde Beschuldigungen

Die Angeklagten waren mit "surrealen und absurden Beschuldigungen" konfrontiert, resümierte Bihr. Der Prozess hätte einen hohen Grad an Absurdität gezeigt, bestätigte auch Steven Ellis vom International Press Institute (IPI), der den Prozess seit Montag beobachtet. Von außen betrachtet machte es den Anschein eines "normalen Prozesses", da sich die Angeklagten etwa verteidigen konnten. Bei genauerem Hinsehen habe sich aber gezeigt, dass in der Anklageschrift einige Aspekte ausgelassen wurden.

"Die Aussagen der Verteidiger hatten viele der Anschuldigungen demontiert und aus unserer Sicht zahlreiche Widerspruche und Ungenauigkeit in der Anklageschrift zum Vorschein gebracht", so Ellis. Nach seinen Angaben wurde Beweismaterial zudem bewusst manipuliert. Bei einem Beweisstück sei etwa eine Unterseite entfernt worden, in der sich "Cumhuriyet" kritisch zur Gülen-Bewegung geäußert hat. Ellis berichtete auch von unangebrachten Fragen der Richter, der die Angeklagten dazu gedrängt haben soll, politische Aussagen zu machen.

Entscheidung über Haft oder Freilassung

Am Freitag soll die Entscheidung der Richter fallen, ob elf der Angeklagten, die sich gerade in Untersuchungshaft befinden, in Haft bleiben oder freigelassen werden. Laut ROG drohen den Angeklagten bis zu 43 Jahre Gefängnis. "Wenn hier wirklich Gerechtigkeit erfolgen sollte, würde der Prozess mit dem Freispruch aller Angeklagten enden, aber das wird nicht passieren, da die Türkei kein Rechtsstaat ist", so Bihr. "Ein Freispruch würde zeigen, dass es ein wenig juristische Unabhängigkeit in der Türkei gibt", bestätigte Ellis. Er habe Gerüchte gehört, dass ein Teil der Inhaftierten entlassen werden könnte, aber "nicht die hochrangigen".

"Das ist ein hoch symbolischer Prozess", sagte Bihr mit Verweis auf das Datum des Prozessauftakts, das auf den 24. Juli fiel, der Tag, an dem in der Türkei in Erinnerung an die Aufhebung der Zensur im Jahr 1908, die Pressefreiheit gefeiert wird. Während der Prozess in internationalen Medien große Beachtung fand, wurde er in türkischen Medien nur am Rande behandelt, wie ROG und IPI berichteten. Regierungsnahe Blätter hätten in ihrer Berichterstattung die "Cumhuriyet"-Journalisten weiter attackiert.

Der "Cumhuriyet"-Prozess wurde vom erstem Tag an von Protesten begleitet, wie ROG berichtete. Am Montag führte ein Protestzug der türkischen Journalistenvereinigung (TGS) von dem Redaktionsgebäude von "Cumhuriyet" zum Gerichtsgebäude im Istanbuler Stadtteil Caglayan. Unter den Demonstranten waren auch Vertreter der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF), der internationalen Schriftstellervereinigung (PEN) dem Europäischen Zentrum für Presse und Medienfreiheit (ECPMF), sowie von Amnesty International (AI).

Die 1924 gegründete "Cumhuriyet" zählt zu den entschiedensten Kritikern des islamisch-konservativen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. "Cumhuriyet" heißt übersetzt "Republik". Sie ist eine der letzten unabhängigen Stimmen in der Türkei. Seit dem gescheiterten Putschversuch und der Verhängung des Ausnahmezustands vor einem Jahr, wurden in der Türkei rund 150 Medien geschlossen. Laut der Plattform für Pressefreiheit P24 sind derzeit 166 Journalisten in Haft. (APA, 26.7.2017)