Historische Esperanto-Bücher in der Esperanto-Bibliothek in Białystok.

Foto: AFP/Janek Skarzynski

In der polnischen Stadt wurde Ludwik Zamenhof, der Erfinder der Sprache, 1859 geboren. Am 26. Juli 1887 veröffentlichte er eine Broschüre mit den Grundlagen der Sprache.

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130 Jahre Esperanto. Aber sogar meine Freunde sagen: "Ein schönes Jubiläum. Aber es ist tot und hat sich nicht durchgesetzt." Meine Antwort fällt wie immer länger als drei Sätze aus, denn für mich ist die internationale Sprache seit mehr als vierzig Jahren das Verständigungsmittel, das mir am meisten Freude macht. Und das, obwohl ich mehrsprachig aufgewachsen bin und auch nach meiner Englisch-Matura geglaubt habe, die Welt steht mir offen.

Deshalb muss ich als Erstes einmal feststellen, dass es in mehr als 120 Ländern der Welt Esperanto-Sprecher gibt. Dass man heute wenig davon hört und darüber liest, liegt auch daran, dass es jetzt nur mehr wenige Esperanto-Vereine gibt, weil heute alle wichtigen Funktionen über das Internet angeboten werden. Beim englischen Duolingo-Kurs gab es Ende Mai knapp über eine Million Lerner. Esperanto kann nämlich in einem Viertel der Zeit gelernt werden, die für andere Sprachen notwendig ist, sodass man bei den Gratis-Internet-Kursen für die Grundlagen der einfachen Grammatik oft nur zwei bis drei Wochenenden braucht. Und wer das einfache Esperanto gelernt hat, lernt weitere Sprachen wesentlich schneller.

Esperanto im Alltag

Was nur wenige wissen: In unserem Nachbarland Ungarn haben seit 2001 mehr als 35.000 Menschen eine staatlich anerkannte Esperanto-Prüfung abgelegt. Der Grund ist einfach: Nach dem Ende des Kommunismus wurde Esperanto als lebende Sprache anerkannt, sodass man die bestandene Prüfung nutzen kann, um Fremdsprachenkenntnisse für die Aufnahme an Hochschulen nachzuweisen. Die Esperanto-Version von Wikipedia hat mehr als 230.000 Artikel, mehr als die Ausgaben in Dänisch, Kroatisch oder Bulgarisch. Und immer mehr Mitglieder der weltweiten Sprachgemeinschaft kommunizieren täglich über Facebook – Anfang des Jahres waren es 320.000 Nutzer –, bei Yahoo und Google, das auch in Esperanto übersetzt, hören bei Youtube Vorträge und Lieder (3.000 in Esperanto) oder unterhalten sich via Skype.

Englisch, die "Weltsprache"?

Und wer jetzt sagt, er hat noch nie ein Esperanto-Buch gesehen, ist selbst schuld. Es gibt nämlich mehr als 10.000 Esperanto-Bücher, und jedes Jahr werden es bis zu 120 mehr. Man muss ja berücksichtigen, dass zwischen der Geburt des Esperanto und heute zwei Weltkriege liegen und beim zweiten nicht nur Hitler Esperanto auslöschen wollte, weil der Schöpfer ein polnischer Jude war, sondern auch Stalin es verboten hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann mit dem amerikanischen Marschall-Plan der Siegeszug des Englischen, und es wurde die wichtigste Fremdsprache für Techniker, Wissenschafter und natürlich auch für unsere Gymnasiasten und Studenten. Für viele wurde Englisch die Zweitsprache.

Weltweit gibt es 6.912 Sprachen – leider stirbt fast jede Woche eine –, und nicht Englisch ist die sogenannte Weltsprache, sondern Chinesisch als Muttersprache von 20 Prozent der Weltbevölkerung. Und sogar Spanisch liegt mit 420 Millionen noch vor Englisch. Wenn ich meinen Freunden erkläre, dass weder ihre Eltern noch sie demokratisch darüber abgestimmt haben, ob sie Englisch als Weltsprache wollten oder wollen, gibt es oft nur chaotische Antworten wie "Du hast ja recht, aber das ist halt schon so".

Gemeinsame Sprache

Mehr Gehör finde ich in Diskussionen, wenn ich berichte, dass die EU mehr als 2.500 Dolmetscher braucht, weil bei den 24 Amtssprachen mindestens 552 Übersetzungen notwendig sind. Und einer meiner Kollegen berichtete begeistert von seinem Besuch im EU-Parlament, kritisierte dann aber beinhart, dass auch die Österreicher mit keinem kroatischen oder polnischen Kollegen direkt reden konnten, er aber einen Deutschen, eine Französin und einen russischen Gast in Esperanto gehört hatte. Und wenn die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in einer gemeinsamen Sprache direkt auch am Telefon reden könnten, wäre es sicher auch für die EU wesentlich einfacher und besser. Merkel kann das ja mit Putin schon auf Russisch.

Weitgehend unbekannt ist, dass die katholische Kirche Esperanto 1990 als liturgische Sprache anerkannt hat, indem die Esperanto-Messtexte genehmigt wurden, die inzwischen auch von österreichischen Priestern verwendet werden. Zu den weltweit bekanntesten Esperantisten zählen übrigens Papst Johannes Paul II. ebenso wie der österreichische Bundespräsident Franz Jonas, der sich bei der Eröffnung der neuen Grenzbrücke im steirischen Radkersburg mit dem jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito in Esperanto unterhielt. Auch der französische Schriftsteller Jules Verne, der als Erster technische Utopien schrieb, benutzte Esperanto ebenso wie der Erfinder des Dieselmotors, Rudolf Diesel. Heute sind die Prominentesten der Investor Georges Soros und der Nobelpreisträger für Wirtschaft, Reinhard Selten, und der frühere deutsche Botschafter in Moskau, Ulrich Brandenburg, für den wie bei tausend anderen Esperanto sogar Muttersprache ist.

Land und Leute kennenlernen

Die meisten Esperanto-Sprecher in der Welt sind über Adressverzeichnisse leicht erreichbar, so hat man rasch einen ersten Anlaufpunkt, um Land und Leute kennenzulernen. Speziell für Jugendliche gibt es schon seit meiner Jugendzeit den Gastgeberdienst, Pasporta Servo, mit mehr als tausend Adressen in über 90 Ländern von Leuten, bei denen man (oft gratis) übernachten kann.

Esperanto in der Schule

Die Unesco hat 1954 anerkannt, dass die Errungenschaften von Esperanto mit ihren Zielen und Idealen übereinstimmen, und rief 1985 ihre Mitgliedsstaaten auf, den Esperanto-Unterricht in Schulen und seinen Gebrauch in internationalen Angelegenheiten voranzutreiben. Eine Schulstunde über Esperanto wäre ein erster Schritt, damit die weltweite Sprachgemeinschaft noch schneller größer wird.

Schüler sollten zum Beispiel auch in Supplierstunden erfahren, wie einfach Esperanto aufgebaut ist und dass man die wenigen Regeln in ein paar Wochen gratis mit dem Computer lernen kann, und dann entsprechend der Empfehlung der Unesco selbst entscheiden, ob sie die internationale Sprache lernen wollen. Weil selbstständiges Lernen ein Lernziel sein sollte, tut Eigeninitiative der Schule nur gut. Jugendliche Esperanto-Sprecherinnen und -Sprecher lieben ihre Begegnungen mit Gleichaltrigen, im Internet oder bei internationalen Treffen. Das lockt zum Lernen. Denn Esperanto-Sprecher sind grundsätzlich zweisprachig und werden oft richtige Sprachenliebhaber, weil Esperanto das Potenzial hat, die Lust am Erlernen weiterer Sprachen zu wecken. (Heinz-Paul Kovacic, 26.7.2017)