Professionelle Küchen für Start-ups sind in Wien kostspielig und rar gesät. Viele angehende Caterer wagen ihre ersten gewerblichen Kochversuche daher lieber inoffiziell daheim.

Foto: Nico Wieseneder

Wien – Ein Jahr lang hat Roland Kozak auf kleiner Flamme in unzähligen Töpfen gekocht, ehe sich seine Food-Trucks mit Wiener Küche auf zu Festivals und Events machten. "Wir haben improvisiert, vom Lager bis hin zum Kühlraum."

Anna Abermann verarbeitet regionale Bioprodukte. Seit fast vier Jahren ist sie als Caterer aktiv, nahezu halb so lange sucht sie eine Küche, deren Kosten sie sich mit anderen Mitstreitern teilen kann.

Künftig arbeiten die beiden, die mit I Eat Vienna und Herzlichst Anna's den Sprung in die Selbstständigkeit wagten, unter einem Dach. Gleich neben ihnen schwingen junge Betriebe wie Topfreisen, Agape und Mochi die Kochlöffel. Geht es nach Marko Ertl, Matthias Kroisz, Felix Münster und David Weber sollen sich in der Wiener Gudrunstraße im zehnten Bezirk bald bis zu 30 innovative Gastronomen um ihren Herd tummeln.

Zäher Start

Ertl, Kroisz und Weber starteten 2013 den Streetfood-Spezialisten Wrapstars. Ein Jahr lang fürchteten sie, mit ihren Trucks in Österreich fehl am Platz zu sein, erinnert sich Ertl im Gespräch mit dem STANDARD. "Die erste Zeit war finanziell gesehen katastrophal, wir dachten, wir sind mit dem mobilen Streetfood zu früh dran." 2015 kam das Geschäft dann doch in Schwung. Mittlerweile bedarf es neun Mitarbeiter. "Wir haben den Turnaround geschafft, leben alle davon und wurden kreditwürdig."

Jungunternehmer Marko Ertl vertraut in der Küche auf Netzwerke.
Foto: Nico Wieseneder

Ihre Ersparnisse steckten die Wrapstars nun in ein neues Projekt und sehen sich in Österreich auch damit als Pioniere. Ertl und seine Partner brauchten eine größere Küche: Sie fanden sie in ehemaligen Räumlichkeiten von Siemens, auf 700 Quadratmetern, einer Fläche, die sie allein wohl nie auslasten werden. Die Idee einer gemeinschaftlichen Küche, angelehnt an Vorbilder in den USA, entstand.

100.000 Euro und mehr müssten Gastronomen in der Regel für eine eigene Küche auslegen, rechnet Ertl vor. "Diese enormen Summen investieren und dann schauen, ob den Leuten mein Essen auf Dauer überhaupt schmeckt, spielt es einfach nicht." Nicht weniger hoch sei der Aufwand für Betriebsanlagengenehmigungen, für Hygienepläne und Reinigung, für Schädlingsmonitoring, Lagerung und Logistik.

Es ist eine Fülle an Extrajobs abseits des Kerngeschäfts, die Start-ups aus der Gastronomiebranche in der Co-Working-Küche "Herd" nun abgenommen werden sollen. Ab 400 Euro im Monat erhalten sie Zugang zum Kochbereich, zu den Kühl- und Trockenlagern. Gut ein Viertel davon war bisher vielfach nötig, um sich lediglich für einen Tag in eine professionelle Küche einzumieten. Die enormen Fixkosten veranlassen viele angehenden Caterer und Lebensmittelhersteller dazu, sich lieber illegal daheim in den eigenen vier Wänden in ihren ersten gewerblichen Kochversuchen zu üben.

Individualisten vereint

Ziel ist es, mittelfristig auch einen gemeinsamen Einkauf auf die Beine zu stellen. Dass sich die Köche – zumeist ausgeprägte Individualisten – gegenseitig in die Quere kommen, ob nun mit ihren Töpfen oder mit ihren Kunden, bezweifelt Ertl. Es gehe vielmehr darum, Erfahrungen auszutauschen und ein Netzwerk zu bilden. "Schließlich haben anfangs alle ähnliche Probleme, für die sie Lehrgeld zahlen." "Wir sind alle Selbstständige, stehen an der Front. Das ist eine ganz andere Welt als jene der angestellten Köche", glaubt I-Eat-Vienna-Gründer Kozak. "Der Benefit ist größer als die Angst vor Konkurrenz", ist auch Bio-Catererin Abermann überzeugt.

Urbane Landwirte

Eigentümer des Geländes in der Gudrunstraße ist Port Folio. Gut 50.000 Quadratmeter Grund hat der Wiener Immobilienhändler vor einigen Jahren hier erworben. Er siedelte eine sozialökonomisch betriebene Tischlerei an, die ehemalige Langzeitarbeitslose beschäftigt. Die Caritas führt auf dem Areal ein preisgekröntes Wohnprojekt gemeinsam für Studenten und junge Flüchtlinge.

Auch die Laaer Bergbauern haben dort ihre Wurzeln: Parallel zu den Obst- und Gemüsefeldern ihres Vereins am Laaer Berg ziehen sie derzeit mitten im Stadtgebiet eine winterfeste Produktion auf.

Ihr unter Weichtierliebhabern bekannter Nachbar könnte Andreas Gugumuck mit seiner Weinbergschneckenmanufaktur werden: "Ich entwickle Konzepte für den urbanen Raum. Noch ist es nicht fix, aber ich sehe im zehnten Bezirk Potenzial für uns."

Herzstück des neuen Stadtteils soll die Gemeinschaftsküche werden, die kommenden Montag erstmals ihre Türen öffnet. Geht ihr Rezept auf, will sie auch in anderen Metropolen Schule machen. (Verena Kainrath, 27.7.2017)