Traditionsblatt "Cumhuriyet": für die Justiz terrorverdächtig.

Foto: AFP / Adem Altan

Ankara/Athen – Als Abdullah Gül nach dem Freitagsgebet aus einer Moschee im Istanbuler Nobelviertel Sariyer kam, fing er an zu plaudern. Mit einem einzigen Satz, so schien es, wischte der frühere türkische Staatspräsident die kafkaesk anmutende Darbietung des Strafprozesses gegen 17 führende Mitarbeiter der Zeitung "Cumhuriyet" in dieser Woche weg. Er habe stets gesagt, dass es richtig wäre, Journalisten während eines Gerichtsverfahrens auf freien Fuß zu lassen, erklärte Gül den wartenden Medienvertretern vor der Moschee. "Ich glaube, dass es auch jetzt richtig ist, die nun vor Gericht stehenden Journalisten freizulassen."

Der Vorsitzende Richter der 27. Strafkammer für schwere Verbrechen im Istanbuler Justizpalast Çağlayan hatte da noch keine Entscheidung gefällt. Er hörte sich zu diesem Zeitpunkt noch die Anwälte aller Angeklagten an. Dann aber beantragte sogar die Staatsanwaltschaft die Entlassung von fünf der elf inhaftierten Mitarbeiter aus der U-Haft – darunter der Karikaturist Musa Kart, aber etwa nicht Kadri Gürsel, Vorstandschef Akin Atalay oder gar Ahmet Şık.

Ohrfeige für die Justiz

Dass ein führender Vertreter der konservativ-islamischen Staatsmacht das Vorgehen der Justiz solchermaßen infrage stellte, musste einer Ohrfeige gleichkommen. Denn die U-Haft gegen die "Cumhuriyet"-Journalisten war ja bereits als eine erste Strafe gedacht. So haben es die 17 Angeklagten diese Woche wieder betont. "Ich musste neun Monate warten, um die Gelegenheit zu haben, all diese grundlosen, leeren und unbegründeten Anschuldigungen vor einem Gericht zurückzuweisen", stellte etwa Kolumnist Gürsel fest.

Dessen Verteidigungsrede machte einen besonders starken Eindruck, weil sie die Unzulänglichkeiten der Anklageschrift aufzeigte: Dem 55-Jährigen – er ist auch im Vorstand des International Press Institute (IPI) in Wien – wurde eine falsche Funktion im Verlag zugeschrieben und damit auch eine nicht zutreffende Verantwortung für die Redaktionslinie von "Cumhuriyet", der ältesten Zeitung der türkischen Republik. Die Staatsanwaltschaft wirft Journalisten und Managern vor, verschiedene Terrororganisationen zu unterstützen, in erster Linie, die in der Türkei solchermaßen etikettierte Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, aber auch die kurdische PKK und die linksextreme Gruppe DHKP-C.

Ein anderer renommierter türkischer Journalist ging in seinem Plädoyer für die Pressefreiheit noch weiter: Şık warf Präsident und Regierung vor, den Putsch im Vorjahr für ihre Zwecke sogar selbst inszeniert zu haben. (Markus Bernath, 28.7.2017)