Viele Wege können zu mehr Nachhaltigkeit im Tourismus führen. Im Uhrzeigersinn von links: Dagmar Lund-Durlacher von der Modul-Universität Wien, Giovanni Vassena von Alpine Pearls, Verkehrsbüro-Vorstandschefin Helga Freund, Cornelia Wallner-Frisee von Africa Amini Alama und Harald Friedl von der Fachhochschule Joanneum.

Foto: Regine Hendrich

Wien – Tourismus ist ein Wirtschaftszweig, der unbeschadet von Krisen beständig wächst. Pro Jahr sind an die 1,2 Milliarden Menschen grenzüberschreitend unterwegs. Laut Welttourismusorganisation werden es dank fortschreitenden Wohlstands bis 2030 rund 600 Millionen mehr sein. Wie viel Tourismus die Welt verträgt, lässt sich mit einer einzelnen Kennziffer nicht ausdrücken. Unbestritten ist, dass die Tourismusindustrie auf einen nachhaltigeren Weg einbiegen muss, will sie ihr größtes Kapital – reine Luft, sauberes Wasser, intakte Natur – nicht verspielen. Die Vereinten Nationen haben 2017 zum internationalen Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung erklärt. DER STANDARD hat Experten um ihre Sicht der Dinge gebeten.

STANDARD: Was muss nachhaltiger Tourismus unbedingt leisten?

Harald Friedl: Die regionalen Einkommen müssen gestärkt werden.

Cornelia Wallner-Frisee: Arbeitsplätze müssen in der Destination entstehen, das Geld sollte im Land bleiben.

Helga Freund: Das kann ich nur unterstreichen. Zudem sollte man zusehen, dass in einem so boomenden Bereich wie es derzeit die Kreuzfahrten sind, neue Technologien zur Anwendung kommen, damit die Umweltbelastung sinkt.

Giovanni Vassena: Unser Steckenpferd bei Alpine Pearls ist sanfte Mobilität. An- und Abreise sollten möglichst nachhaltig sein.

Dagmar Lund-Durlacher: Wichtig ist auch ein möglichst effizienter Umgang mit vorhandenen Ressourcen.

STANDARD: Wo stehen wir auf einer Skala von null bis zehn, wenn null absolut nicht nachhaltig heißt und zehn das Gegenteil davon?

Lund-Durlacher: Schwierig zu generalisieren, drei bis vier.

Vassena: Eher vier bis fünf.

Freund: Das sehe ich auch so.

Wallner-Frisee: Fast zehn, wenn ich isoliert unser Projekt in Tansania betrachte. Wer zu uns kommt, ist im Allgemeinen schon sehr aufgeschlossen, was das Thema Nachhaltigkeit betrifft. Für ganz Tansania würde ich sagen eins, möglicherweise nur 0,5.

Kreuzfahrten boomen. Das Thema Nachhaltigkeit steht in den Kleinstädten auf hoher See nicht im Vordergrund.
Foto: APA / Bockwoldt

Friedl: Es gibt die ganze Bandbreite. Den Kreuzfahrttourismus am unteren Ende der Skala und Spezialveranstalter wie Weltweitwandern am oberen Ende, die darauf achten, dass das Geld vor Ort bleibt, und die auch soziale Projekte initiieren. Flugtransfers stellen in beiden Fällen ein bisher ungelöstes Problem dar.

STANDARD: Sind Massentourismus und Nachhaltigkeit nicht ein Widerspruch in sich?

Freund: Massentourismus wird sich so rasch nicht verändern, der ist da. Andererseits ist nicht jeder bereit und in der Lage, höhere Preise für nachhaltiges Reisen zu zahlen. Wir haben eine Studie durchführen lassen, warum Kreuzfahrten gebucht werden. Nachhaltigkeit kommt dabei ganz unten. Es geht eher um die Route, das Schiff, den Preis, das Essen. Es gibt auch Gegenüberlegungen dazu, zum Beispiel bei Hurtigruten. Die haben ein neues Hybridschiff herausgebracht, bei dem mit Windenergie experimentiert wird. Auch das Essen auf der Route stammt aus der lokalen Region.

Lund-Durlacher: Nachhaltiger Tourismus muss nicht automatisch teurer sein. Es gibt viele Maßnahmen, die die Kosten senken.

STANDARD: Nicht täglich Handtuch oder Bettwäsche wechseln ...

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Bedarfsorientierter Handtuchwechsel in Hotels soll die Umwelt schonen helfen.
Foto: AP / Amy Sancetta

Friedl: ... das ist nett ...

STANDARD: ... zudem effizientere Flugzeuge und Schiffe anschaffen? Da spart man Betriebskosten.

Freund: Wir haben das bei Hofer-Reisen mit "Go Green Wien" probiert. Man konnte einen Aufenthalt in Wien buchen und für zwei Nächte auf die Hotelreinigung verzichten. Das wurde super angenommen. Und der Hotelier hat dann die Kosten für die Reinigung in ein Bienenzuchtprojekt investiert.

Friedl: Für einen strategisch denkenden Anbieter ist es eine Investition, die absolut zu Kostenersparnissen führt. Geht es den Mitarbeitern besser, sinken die Krankenstände, es gibt weniger Fluktuation, weniger Ausbildungskosten und, und, und.

Wallner-Frisee: Über gewisse Dinge sollte man nicht mehr reden müssen, weil es auf der Hand liegt.

Lund-Durlacher: Ein wichtiger Punkt. Viele Manager wissen gar nicht, was ein Nachhaltigkeitskonzept alles umfasst. Ein CSR-Managementsystem (Corporate Social Responsibility, Anm.) ist zudem ein tolles Instrument, um Risiko zu minimieren. Dadurch, dass man ständig im Austausch mit seinen Stakeholdern ist, kann man sofort reagieren, wenn es irgendwelche Befindlichkeiten gibt.

Friedl: Diesbezüglich schaut es schlecht aus bei uns. Von allen Tourismusschulen in Österreich findet sich das Wort Nachhaltigkeit nur bei zweien auf der Homepage. Im Mittelpunkt stehen erstklassiges Kochen, Servieren, handwerkliche Sachen, Outputsteigerung. Nachhaltigkeit als strategische Chance zu vermitteln ist ein mühsames Unterfangen.

STANDARD: Nähern wir uns einer Situation, in der Tourismus unwiederbringlich ins Negative kippt?

"Gäbe es in Tansania keinen Tourismus, gäbe es keine Elefanten und Giraffen mehr", ist die in Afrika lebende Ärztin Cornelia Wallner-Frisee überzeugt.

Wallner-Frisee: Das sehe ich nicht. In unserer Gegend sind es Touristen, die die Natur erhalten. Gäbe es in Tansania keinen Tourismus, gäbe es keine Elefanten und Giraffen mehr. Tourismus, richtig gemacht, kann viel Gutes bewirken.

STANDARD: Andererseits dürfen die Buschmänner in Botswana nicht mehr auf ihrem Land jagen, weil die Regierung bei der Großwildjagd in den Nationalparks den Europäern Vorrang gibt.

Wallner-Frisee: Ein Missbrauch, es gibt auch da Licht und Schatten.

Friedl: Wenn übergeordnete Interessen bestimmend werden, ist es egal, was der Tourismus liefert. In der Zentralsahara war der Tourismus lange Zeit bilderbuchmäßig. Die Nomaden haben davon profitiert, es war ein wichtiges Zubrot für sie. Weil das aber strategisch wichtige Regionen sind, kam es immer wieder zu pseudoterroristischen Aktivitäten. So konnten die USA auch dort ihren "War on Terror" machen. Die Folge: Der Sahara-Tourismus ist heute tot.

Wallner-Frisee: Es wird dem Tourismus oft vorgeworfen, dass er Kulturen zerstört. In unserer Gegend hat inzwischen fast jeder Massai ein Smartphone, es gibt aus China diese Handys um 25 Euro. Ein Massai erhält Informationen aus der ganzen Welt, während er vorher nicht einmal schreiben konnte. Das sind die tiefgreifenden Veränderungen, die heute stattfinden.

STANDARD: Woran kann sich jemand orientieren, der bewusst nachhaltig urlauben möchte?

Lund-Durlacher: Es gibt Gütesiegel, regionale, nationale Initiativen. Sie können eine Orientierung geben. Als Marketinginstrument eignen sie sich aber nur bedingt.

Vassena: Mundpropaganda ist wichtig, auch Bewertungen spielen eine Rolle. Überall dort, wo die Bevölkerung Nachhaltigkeit lebt, wird das für Touristen spürbar und gut angenommen. Wo es nur so scheint, funktioniert es nicht. (Günther Strobl, 29.7.2017)