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Klaus Schulze, hier während eines Auftritts in Großbritannien 1983: Damals wichen die alten Synthesizer und Sequencer allmählich den Segnungen des digitalen Klangerzeugungsmarktes. Neuere Schulze-Aufnahmen (wie "Kontinuum", 2007) klingen aber wieder wie früher.

Foto: Heritage Images / Getty Images

Wien – Klaus Schulzes Bedeutung für die deutsche elektronische Musik ist kaum zu überschätzen. Versteckt hinter synthetischen Klangerzeugern, die mitsamt ihren Schläuchen mittleren Einbauküchen glichen, entwarf der gelernte Drummer ab 1972 einen flirrenden Kosmos aus behutsam modulierten Klängen. Ursprünglich inspiriert von der Minimal Music, scheute Schulze auch den Übertritt ins digitale Zeitalter nicht.

Er brachte mit seinem synthetischen Zwitschern Klassikfans zum Träumen, belieferte den Esoterikmarkt und verwöhnt bis heute seine Anhänger mit meist halbstündigen Klangflächen. Treue Sammler blicken am liebsten auf die Heldentaten der 1970er zurück, auf Alben wie Cyborg (1973), Moondawn (1976) oder X (1978). Schulze feiert am Freitag sein 70. Wiegenfest.

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STANDARD: Kraftwerk, die zweite große deutsche Elektronikinstitution, überarbeitet ihren schmalen Werkkanon immer wieder neu ...

Schulze: Ich bin ein großer Kraftwerk-Fan.

STANDARD: Sie fügen den Wiederauflagen Ihrer Alben stets lange Bonustracks hinzu. Wie viele Schätze schlummern noch in den Achiven?

Schulze: Im Moment ist da nichts mehr, ganz einfach weil ich in den letzten Jahren auch nichts gemacht habe. Neue Sachen kann ich nicht irgendwo aus dem Schrank holen. Ich bin dabei, mich auf die Erarbeitung neuer Musik vorzubereiten. Das ist immer auch eine mentale Sache.

STANDARD: Inwiefern?

Schulze: Ich muss mich in eine Idee reinfallen lassen, dann reagiere ich. Eine sehr intime Situation, ich kann ja kein Problem handwerklich lösen. Ich kann meine Musik nur vom Kopf her machen, ich bin ja kein Pianist.

STANDARD: Waren Sie, mit Blick auf die frühen Klangerzeuger, ein Zauberlehrling? Wollten Sie das Equipment beherrschen? Oder einfach einen geilen Sound erzeugen?

Schulze: Ein bisschen mehr ging es mir um den Sound. Der ist für mich heute noch die wichtigste Herausforderung. Klang ist für mich die Seele der Musik. Eine Melodie verschleißt sich schnell; Klang nicht.

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STANDARD: Das kosmische Zwitschern Ihrer Maschinen wurde in den 1970er-Jahren erst einmal außerhalb Deutschlands wahrgenommen ...

Schulze: Es hat zehn Jahre gedauert, bis hier jemand davon Notiz nahm. In Frankreich lief es besser, dort erhielt ich 1975 den Grand Prix International. Da war ich dann auch mit wichtigen Leuten zusammen. Jean Michel Jarre mit seinem Oxygène war ja eigentlich nur ein Nachläufer von mir. Ein toller Filmkomponist war hingegen dessen Vater, Maurice. Viel besser als der Sohnemann. Der huldigte prompt dem Kommerz.

STANDARD: Rührte der Erfolg im Ausland aus der klischeedeutschen Gleichsetzung Ihrer Klänge mit Geist, mit Abstraktion?

Schulze: Man hat damals behauptet, Elektronik sei keine Musik, die sei furchtbar kalt. Die Leute sahen mich inmitten meiner Instrumente stehen, hinter meiner schwarzen Ritterburg. Da hieß es: "Sind ja nur Knöppe!" Ich antwortete, eine Geige wächst ja auch nicht auf dem Baum. In Deutschland wurde ich damals überhaupt nicht anerkannt ...

STANDARD: Ein deutsches Schicksal?

Schulze: Als mich die Plattenfirma Virgin unter Vertrag genommen hatte, hieß es daheim sofort: Wenn die Engländer den nehmen, muss was an ihm dran sein.

STANDARD: Sie haben – mit Hinweis auf Richard Wagner – immer Blickkontakt mit der Hochkultur gehalten. Lassen die Klänge auf Ihrem Album "Timewind" (1975) nicht sogar an das verdeckte Orchester im Bayreuther Festspielhaus denken, an die orchestralen Mischfarben?

Schulze: Ich wollte Musik machen, die man nicht kennt. An musikalischen Noten ist bloß schon alles gemacht gewesen. So habe ich mich auf den Klang, auf die Frequenzen innerhalb der Noten konzentriert. Dadurch habe ich eine neue Jungfräulichkeit der Musik erlebt. Bei mir gibt es keine Melodien, die man nachpfeifen kann, sondern Flächen, abstrakte Atmosphären. Als Notenschreiber hätte ich wohl anfangen müssen zu klauen.

STANDARD: Sie sind in den 1970ern mit diesen Kästen live aufgetreten, in einem Bühnenbiotop aus Kabeln und Knöpfen. War man da nicht im Handumdrehen verloren, wenn eine Maschine nicht gespurt hat?

Schulze: Das war immer so, natürlich. Der alte Moog-Synthesizer war zum Beispiel nicht stimmstabil; der hatte sich im Nu verstimmt. Die neueren waren etwas besser, aber stabil waren auch die nicht. Ich habe mich immer relativ sicher gefühlt, weil ich mit Ausfällen rechnete.

STANDARD: Sie waren vorbereitet?

Schulze: Ich habe gewusst, die Dinger führen ein Eigenleben. Aus dem großen Moog kann man drei separate Synthies machen. Ich hatte bei allen dreien Tuning und Klangfarbe exakt eingestellt. Weil ich immer damit gerechnet habe, heute geht der eine Moog nicht, oder der andere ... Am besten gar nicht berühren! Allein was die Temperaturschwankungen bewirkten! Wenn jemand bei der Tür hereinkam, war er sofort verstimmt, einfach weil es wärmer wurde. Man spielte also mit der Rechten, und mit der Linken "tunete" man während des Spielens. Die modernen digitalen Synthies werden einmal eingestellt und bleiben die nächsten hundert Jahre gleich.

STANDARD: Der Moog?

Schulze: Ging bei Erwärmung immer höher. Machte einer ein Fenster auf, ging er hinunter. Ein sehr empfindliches Instrument, freilich mit einem tollen Klang. Ich habe ja Erbauer Robert Moog noch persönlich getroffen. Ich sagte ihm: Ohne dich gäbe es gar keine elektronische Musik! Beim Synthesizer werden eben keine Flötentöne nachgebildet. Der Klang muss als das benutzt werden, was er ist. Ich kann ja auch einen Geigenklang über den Verzerrer jagen. Kann man machen. Dann soll man nur den Anspruch "Geige" weglassen. Analoge Instrumente habe ich eingebaut, um Kontrastwirkungen zu erzielen. Dann erst hörst du die Elektronik besser.

STANDARD: Die heutige Elektronikszene?

Schulze: Interessiert mich gar nicht, nein. (Ronald Pohl, 2.8.2017)