Das Tanzpaar Kerem Gelebek und Julie Guibert ist in Christian Rizzos Stück "ad noctum" nicht ganz allein: im Hintergrund schwebt ein maschinenhafter Monolith, der aktiv ins Geschehen eingreift.

Foto: Marc Coudrais

Wien – Zu Unrecht genießt der Tag einen so gut wie ungeteilt guten Ruf und wird zugleich der Nacht notorisch die Rolle bloßer Verdunkelung zugeschrieben.

Dieser Mystifikation rückt nicht nur die weltweite Partykultur, sondern auch der französische Choreograf, bildende Künstler und Modedesigner Christian Rizzo in seinem Stück ad noctum – das Lateiner wahrscheinlich lieber als ad noctem lesen würden – auf den Pelz.

Nicht ohne Grund bleibt das sengende und blendende Gestirn unseres Sonnensystems aus der "Black Box" des Theaters verbannt: also von dort, wo es ans Eingemachte geht, um die Wirklichkeit der Fiktionen hinter den Erscheinungen und das Leben unter der Scheinbarkeit tageslichtverschmutzter Oberflächen.

ImPulsTanz

So geschieht es bei Impulstanz in der Museumsquartier-Halle G: Auf einer labyrinthhaften, schwarzweißen Bodenstruktur lässt Rizzo einen Mann und eine Frau tanzen. Über diesem irrgartenhaften Boden schwebt ein hoher Quader aus Glas, ein "Totem" oder ein "Monolith", wie Rizzo im Programm erklärt. Die beiden Tänzer – Kerem Gelebek und Julie Guibert – geben sich in schwacher Beleuchtung, die in unregelmäßigen Abständen völliger Finsternis weicht, ganz dem Überfluss ihrer Bewegungen hin.

Ganz wirkliche Gespenster

Der Monolith ist eine dritte Existenz, etwas Eingedrungenes und Eindringliches, das von einer unsichtbaren Kraft gesteuert wird. Das wirkt geisterhaft, und es erinnert daran, dass die eingespielte Musik in den meisten Tanzstücken – wie übrigens ganz ähnlich in so gut wie allen Filmen – aus dem unbekannten "Off" kommt und somit eine gespenstische Präsenz hat.

Rizzos Totem erschließt sich nach und nach als Hintergrundmetapher in Bezug auf das Tanzpaar. Dieses ist so rast- wie restlos damit beschäftigt, Strukturen von zuvor analytisch zerlegten Standardtänzen zu variieren. Das heißt, die beiden kombinieren diesen Tänzen entnommene Motive und Phrasen neu.

Die Kanten des Glasquaders sind aus Lichtbalken gebaut, im Inneren dieses Monolithen hängt eine Skulptur aus Scheinwerfern, Ton- und Dunstquellen. Die Aufgabe dieser Maschine scheint darin zu bestehen, Informationen aus dem sie umgebenden Bühnenraum aufzunehmen und zu transformieren. Es könnte ein Totem des Theaters sein, in dem nur eines fehlt: der menschliche Körper. Im Inneren des vitrinenhaften Objekts breitet sich immer wieder Nebel aus, in dem sich bald gespensterhafte Lichtwesen zu formen scheinen und wieder verschwinden – so lange, bis das Tanzpaar von der Finsternis der umgebenden Bühne verschluckt wird und das Totem blitzend, vibrierend und blinkend seinen eigenen Tanz aufführt.

In dieser Kunstlichtchoreografie werden geometrische Gebilde sichtbar und schattenhafte Bilder zweier tanzender Gestalten, die huschen wie Halluzinationen und einen Blick ins Innenleben realer Tänzer zu gestatten scheinen: in die Muster ihrer inneren Choreografie, ins Programm, das sie mit ihren Körpern umsetzen. Und das Paar taucht auch tatsächlich wieder auf, jetzt in Harlekinskostüme gekleidet, aus denen Theaterrauch quillt.

Schottische Romantik

Der bisher elektronische Sound verwandelt sich in Robert Burns’ Lied My Heart’s in the Highlands (1789) in der Vertonung von Arvo Pärt. So also quittiert Rizzo den Ausbruch der Französischen Revolution im Jahr 1789. Mit dem schottischen Lied eines berühmten Romantikers, in dem es heißt: "Wherever I wander, wherever I rove, / The hills of the Highlands for ever I love."

Ein Hinweis auf die romantischen Gelüste der Revolution und die Mechanismen der Einbildung, wie sie in Tanz, Theater und der Aufführung politischer Bewegungen gleichermaßen wirksam sind. All das macht ad noctum zu einem Highlight zur Halbzeit von Impulstanz. (Helmut Ploebst, 1.8.2017)