Wouter, Flavio und Yun Liu hängen nur kurz aneinander.

Foto: Danny Willems

Wien – Der gute Wouter hat eine harte Landung auf dem Bühnenboden. Also zum Glück nicht er selbst, sondern sein Double. Die Ähnlichkeit ist verblüffend, wird sich herausstellen: der rote Bart, der schöne Bauch, der orange Overall. Wouter – zu Deutsch Walter – liegt auf dem Rücken wie tot. Die anderen, zu deren Entsetzen er herabgefallen ist, bringen den Reglosen weg – und siehe, er lebt! Und zetert, ihm sei schleierhaft, wie er hierhergekommen ist.

ImPulsTanz

Bis es zu dieser Szene in Wim Vandekeybus' jüngstem Stück Mockumentary of a Contemporary Saviour kommt, das Impulstanz gerade im Volkstheater zeigt, vergeht ein zähes Weilchen. In dessen Verlauf zeigt sich, dass drei Frauen und drei Männer eingeschlossen sind, und zwar bereits so lange, dass sie ins Grübeln geraten sind: Gott habe den Menschen nur geschaffen, um mit ihm zu spielen. Einer der Eingeschlossenen hat bereits 8.726.306 verschiedene Arten ausprobiert, die Tänzerin Yun Liu umzubringen. Nach jedem Mord muss er weinen, und immer ist die Frau wieder zum Leben erwacht.

Draußen das Chaos ...

Als Wouter von der Decke fällt, sind es – heilige Zahl – sieben unsterbliche "Ausgewählte", die in einen Sicherheitsraum geraten sind, wo sie womöglich für immer bleiben müssen. Denn draußen, heißt es, regiere nur noch Chaos. Vandekeybus hat sich an einem Science-Fiction-Stück versucht, sein Plot folgt dem Prinzip von Jean-Paul Sartres Theaterstück Huis clos von 1944, in dem sich zwei Frauen und ein Mann gegenseitig drangsalieren, und einer Anzahl von Science-Fiction-Filmen wie etwa Wes Balls Maze Runner (2014) oder Vicenzo Natalis Cube (1997), die davon handeln, dass Leute an wenig ersprießlichen Orten erwachen und sich in einem von außen gelenkten Experiment wiederfinden.

Bei Mockumentary of a Contemporary Saviour wird auch das Publikum miteinbezogen. Es gewinnt bald den Eindruck, in den Ablauf involviert zu sein und eventuell nie wieder aus dem quälenden Unglück herauszukommen, in das es der belgische Starchoreograf mit hineinzieht. Seine Charaktere sind mit Nerven und Verstand am Ende, alle ihre Handlungen erscheinen so sinnlos wie die Hinwendung zum Auditorium. Vandekeybus geht dabei so gründlich vor, dass gleich auch seiner Kritik an der Verführbarkeit von Menschen durch falsche Propheten die Luft ausgeht. Leider.

... und drinnen der Wahn

Die fiktionale Dokumentation löst sich zwar ein, aber wohl anders, als ihr Schöpfer es wollte. Denn dieser "dokumentiert" de facto das Scheitern einer Theaterperformance über Eingeschlossene und ihre Wahnvorstellungen. Dafür werden reichlich halb ausgegorene Ideen aneinandergereiht, und die über- oder unterzeichneten Figuren samt ihren Szenen veröden in unbeholfenen Klischees und ranzigen Effekten.

Zum Finale der Wiener Erstaufführung kletterten sechs der Eingeschlossenen im Publikumsraum herum. Einer stellte sich indes aufs Proszenium, um einen bedeutungsvollen Abschluss zu vollziehen. Da schoss in einen Moment des Zauderns die Bemerkung aus dem Publikum: "This is the end, my friend." Allgemeines Gelächter. Gegen den schlussmachenden Applaus kam die Truppe nicht mehr an. Ein verdientes Ende. (Helmut Ploebst, 2.8.2017)