Den sich häufenden medialen Anregungen, endlich zu erwachen, ist die SPÖ nun gefolgt und hat ihr Wahlprogramm vorgelegt. Ab sofort können sich interessierte Wählerinnen und Wähler daraus an Information holen, was ihnen zusteht. Besser geholfen wird ihnen aber erst sein, wenn auch Sebastian Kurz sein Programm vorlegt und ihnen damit einen Vergleich in puncto Absichten und Glaubwürdigkeit der verfeindeten Koalitionäre ermöglicht. Aber wie immer dieser ausfällt, er wird den Ausgang der Nationalratswahl am 15. Oktober nicht bestimmen. Das wäre viel zu sachlich, gewissermaßen Demokratie Old School. Was die SPÖ lange verschlafen hat, ist die frühzeitige Etablierung eines Themas, das sich Entscheidungen eines österreichischen Parlaments, wie immer es zusammengesetzt ist, entzieht, aber emotional hoch besetzt dem Volk in der Maske eines Wahlkampfthemas permanent aufgedrängt wird – die weltweite Flüchtlingskatastrophe.

Kurz war ja nicht einmal der Erste, der erkannt hat, dass mit Angst vor unkontrollierter Zuwanderung ein politisches Geschäft zu machen ist. Für Strache war das seit vielen Jahren Geschäftsgrundlage. Keiner von ihnen glaubt ernsthaft, der Lauf der Dinge in Afrika, in Libyen, im Mittelmeer werde am 15. Oktober in Österreich entschieden, solange sich nicht einmal die internationale Gemeinschaft oder die Europäische Union auf ein Vorgehen einigen können, das die Ursachen der Misere bekämpft. Von den Freiheitlichen war man diese Linie gewohnt, aber Straches Manko war, dass er sie als rechter Oppositionspolitiker vorgab, von dem man nichts anderes gewohnt war. Kurz hingegen erkannte früh die Chance, sich als Außenminister des Themas gewissermaßen im Alleingang zu bemächtigen und es als ÖVP-Obmann in Wahlkampfmunition umzusetzen. Statt dieser Irreführung entgegenzutreten, ließ ihn die SPÖ gewähren, die Folgen schlagen sich in den Umfragen nieder und werden es, nicht ausgeschlossen, im Ergebnis tun.

Wie schon bei den sicherheitspolizeilichen Zumutungen des Innenministers oder bei der Frage eines Zusammengehens mit der FPÖ kann sich die SPÖ nicht zwischen einer demokratiepolitisch sauberen Lösung und der opportunistischen Versuchung entscheiden. An einem Tag der Ruf nach Panzern an den Grenzen, am nächsten Tag der Rückzug. Die einen koalieren schon mit der FPÖ, andere sind eher dagegen, wieder andere sogar prinzipiell. Das Erste aber, worauf Wähler Anspruch haben, ist Klarheit.

Mit einem Programm lassen sich jedenfalls die Umfragewerte von Kurz ebenso wenig erklären wie mit seinen bisherigen personellen Behübschungen der ÖVP-Listen. In seiner eigenen Partei machen Letztere ihn jedenfalls nicht beliebter, wie der Unmut der Durchgriffsopfer sichtbar werden lässt. Und ob sein Programm die Million Euro wert ist, die es vor der Präsentation fast schon eingespielt hat, bleibt abzuwarten. Die mehr als 400.000 Euro, die es einem Industriellen schon vor Erscheinen wert ist, deuten an, in welche Richtung es weisen wird. Die Summe kann nur als klarer Handlungsauftrag an Kurz zu verstehen sein. Denn wer zahlt schon allein für Schönheit? (Günter Traxler, 3.8.2017)