Der Triumphbogen vor dem Regierungsgebäude in Chișinău

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Ein Ausflug nach Tiraspol in Transnistrien wirkt wie eine Zeitreise in die Sowjetunion.

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Vor dem Tiraspoler Haus der Sowjets steht noch eine übergroße Lenin-Büste

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60 Kilometer Labyrinth haben deutsche Kriegsgefangene für den Weinkeller Cricova in den Kalksteinbruch schlagen müssen, bis zu 85 Meter in die Tiefe.

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Alt-Orhei in der Republik Moldau ist besonders idyllisch in einem Flusstal eingebettet. Noch wartet der Ort auf die Anerkennung als Unesco-Welterbe.

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In Butuceni ist eine "Feriensiedlung" aus traditionellen Bauernhäusern entstanden.

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Chișinău? Ganz genau! Obwohl die Metropole mit gut 800.000 Einwohnern mehr Einwohner hat als die europäischen Hauptstädte Oslo, Kopenhagen, Dublin oder Lissabon, kennt sie hierzulande kaum jemand. Ebenso wenig wie die Republik Moldau selbst, auch Moldawien oder Moldova genannt.

Erhöhte Aufmerksamkeit

"Selbst bei internationalen Touristikmessen muss ich immer wieder feststellen, das Moldova auf geringes Interesse stößt. Sowohl bei Besuchern als auch Veranstaltern", erzählt die Touristik-Managerin Taniuşa Rotundu fast schon resignierend. Zumindest der Bekanntheitsgrad dürfte sich nach dem Eurovision Song Contest im Mai 2017 erhöht haben. Das Land hat mit dem Ohrwurm "Hey Mamma!" auf sich aufmerksam gemacht und einen bemerkenswerten dritten Platz ergattert.

"Selbst Menschen, die normalerweise nichts mit Popmusik am Hut haben, freuen sich darüber. Wir erwarten viel mehr Besucher", glaubt Rotundu. Ob die nun wirklich nach Chișinău strömen, ist fraglich. Vielleicht ein paar, um nächtens die Clubs in der Hauptstadt zu frequentieren. Unter Insidern gilt das Nachtleben von Chișinău als das beste des gesamten Kontinents, auch wenn sich das in Westeuropa niemand vorstellen kann. Aber tagsüber?

Zeitreise in die Sowjetunion

Die Architektur der Hauptstadt bietet eine interessante Mischung aus hübschen klassizistischen wie sakralen Gebäuden und selten gewordenen Versatzstücken aus der Sowjetzeit. Doch in Transnistrien, der abtrünnigen Republik im Osten des Landes, die zwar völkerrechtlich nicht anerkannt ist, aber unter dem Schutz des Kremls real exisitert, kann man die "Sowjetunion" noch besser erleben. Besucher von Chișinău unternehmen gerne diese bequeme Zeitreise: Jeden Morgen tuckert ein Bummelzug von Chişinau nach Tiraspol, der Hauptstadt der Separatisten – 71 Kilometer, zwei Stunden. Man besorgt sich eine Aufenthaltsgenehmigung für zehn Stunden und tauscht gleich ein paar Transnistrische Rubel. Ja, es gibt auch eine eigene Währung. Es ist ein ziemlich skurriler Ausflug, und er ist sicher – geschossen wird zmu Glück nur noch mit Kameras.

Süß wie Schampanski

Die Landschaft der Republik Moldau ist sanft, harmonisch, beruhigend und wie geschaffen für den Anbau von Wein. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind viele kleine Güter entstanden. Meist Familienbetriebe, die oft auch ein paar Zimmer vermieten an Reisende, die selbst gerne mal keltern wollen oder einfach Weite und Ruhe suchen. Inzwischen stellen die Kleinunternehmen einen recht passablen Tropfen her, der sich an den französischen Traditionen des Kelterns orientiert.

Zu Sowjet-Zeiten wurde auf industrielle Massenproduktion für den gesamten Ostblock gesetzt. Dabei galt die Devise: je mehr und süßer, desto besser. Der Schaumwein "Schampanski" war der absolute Renner. Am Anspruch an Quantität hat sich in vielen Betreiben auch heute nichts geändert. Und wo lagert man all das am besten? Unter der Erde, richtig. Zum Beispiel in Cricova.

Über eine Million Flaschen reifen im berühmtesten Weindepot des Landes, dazu rund 30 Millionen Liter in Fässern. Die Ausmaße dieser Anlage sind kaum vorstellbar. Mit einem Elektrokarren geht es hinab in den Grund. Immer tiefer, links, rechts, wieder rechts, dann eine Schleife und weiter abwärts. Ziemlich schnell hat man jegliche Orientierung verloren. Vorbei an Batterien von Flaschen und teils überdimensionalen Holzfässern.

Görings Weinkeller

60 Kilometer Labyrinth haben deutsche Kriegsgefangene in den Kalksteinbruch schlagen müssen, bis zu 85 Meter in die Tiefe. Hier lagern neben konventionellen Weinen auch wahre Schätze. Besonders gerne präsentieren die Betreiber die fast komplette Sammlung von Hermann Göring. Die Rote Armee beschlagnahmte die Weine des Nationalsozialisten und Oberbefehlshabers der deutschen Luftwaffe, brachte die Flaschen 1947 schließlich nach Cricova. Darunter auch ein paar Kartons Mouton-Rothschild Pauillac Premier Cru Classé. Wert 50.000 Euro – pro Flasche.

Seit einigen Jahren werden Staatsgäste in Cricova mit einem eigenen kleinen Depot beschenkt, das sie nach Belieben aufstocken können. Die Sammlung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt sich eher bescheiden aus. Gleich nebenan lagern die umso üppigeren Bestände von Wladimir Putin, der hier auch seinen 50. Geburtstag gefeiert haben soll. Für solche Anlässe gibt es exklusive Räumlichkeiten 50 Meter unter der Erde. Am außgelassensten soll jedoch Juri Gagarin, der erste Mensch im All, in Cricova gefeiert haben. Erst nach zwei ganzen Tagen habe der Kosmonaut seine Weinverkostung beendet. Er sei definitiv nicht mehr flugfähig gewesen, erzählt man heute noch gerne in dem Keller.

Öko-Dorf mit Weitblick

In Maßen getrunken und hervorragend gegessen wird bei Anatol Botnaru. Der Ex-Jurist ist der Erfinder des Öko-Dorfs Butuceni, gut 50 Kilomter nördlich von Chișinău. Botnaru ist ein Mann ohne besondere humanistische Bildung, dafür gesegnet mit scharfem Verstand, Bodenständigkeit und einer guten Portion Cleverness. Irgendwann stellte er sich die Sinnfrage, hängte seinen Job in einer Anwaltskanzlei an den Nagel und sanierte ein uraltes Bauernhaus in Butuceni. Es sollte nicht bei dem einen bleiben. Bei der Wahl des Standorts bewies der Mann mit dem jungendhaft-schelmischen Blick Weitsicht.

Butuceni liegt im archäologischen Komplex von Orheiul Vechi (Alt-Orhei), einem historischen Siedlungsgebiet umschlossen von einer Schleife des Flusses Răut. Bunte Kalksteinvegetation, Einsiedlerhöhlen, ein Höhlenkloster mit Mönchbehausungen, tatarische und christliche Ruinen, die Marienkirche und ein als wunderwirkend geltendes Steinkreuz verleihen die Gegend einen besonderen Charme. Derzeit wartet Alt-Orhei noch auf die Aufnahme in die Welterbeliste der Unesco. In einem ersten Anlauf ist es den moldawischen Behörden nicht gelungen – es gab Formfehler bei der Bewerbung. Inzwischen wurde aber nachgebessert.

Ferien im Kulturgut

"Anfangs habe ich nur ein paar Freunde nach Butuceni eingeladen", erinnert sich Botnaru. "Per Mundpropaganda kamen dann die ersten Anfragen von Chişinauern für ein Wochenende auf dem Land." Sein Plan schien aufzugehen, also kaufte er weitere verlassene Bauernhöfe und sanierte diese behutsam nach historischem Vorbild. Was dabei entstand, ist eine Art Feriensiedlung, die nicht so aussieht, ein Stück Moldauer Kulturgut, das sonst einfach verfallen wäre. Heute vermietet der Unternehmer 19 Häuser. Auch ein Restaurant ist dazugekommen.

"In der ersten Zeit kochte noch eine alte Bäuerin in ihrem Haus und schleppte das Essen in die Gästehäuser. Die deftige einheimische Küche kam sehr gut an – besonders bei Ausländern", erzählt er. Über kurz oder lang musste ein Restaurant her, in dem bis heute nur regionale Gerichte mit Zutaten aus biologischer Landwirtschaft auf den Tisch kommen. Sarmale zum Beispiel: mit Faschiertem gefüllte Krautwickel, dazu Mămăligă, ein knallgelber Maisgries. Danach gibt es Kompott: aus Kirschen, Zwetschken und Pfirsichen, entweder frisch oder eingemacht, in jedem Fall aus den Gärten von den Ufern der Răut. Typischer Digestif aus der Region ist der hochprozentige Zwetschkenschnaps Rachiu.

Opern nach Butuceni holen

Als der österreichische Dirigent Friedrich Pfeiffer an einer solchen Tafel aus der Welt der Oper plauderte, musste Botnaru passen. "Verdis Rigoletto, Bizets Carmen – all das war mir fremd. Ich hatte diese Klänge mein Lebtag nie vernommen", erinnert sich der Selfmademan. "Doch als ich zum ersten Mal diese Musik hörte, ging mein Herz auf. Wenig später wusste ich, dass ich die Oper nach Butuceni holen werde." Auch wenn die Idee so absurd anmuten mag wie der Bau eines Opernhauses im Amazonas-Dschungel – der Fitzcarraldo von der Răut nahm sofort seine Arbeit auf. Nur ein bisschen Reiten, Folklore und Schafe füttern würde auf Dauer nicht ausreichen, um internationalen Tourismus ins Dorf zu locken, sagte er sich.

Also knüpfte Botnaru Kontakte, konnte Künstler begeistern und Behörden überzeugen von seiner verrückten Vision. Wenig später ließ er ein einfaches Amphitheater auf dem Grundstück errichten. 2016 war es dann soweit. Unter Friedrich Pfeiffer schallte Rigoletto durch das Tal der Răut, zur großen Freude des Publikums und aller Beteiligten. Der Dirigent, der lange Zeit Mitglied der Wiener Philharmoniker war, zeigte sich begeistert von der Professionalität der moldawischen Musiker: "Hervorragende Gesangsausbildung, alte russische Geigenschule, fantastische Chöre."

"Hey Mamma" und Carmen

Im Juni 2017 war es dann wieder soweit, auf Rigoletto folgte in der zweiten Saison Carmen. Überraschend viele Besucher aus dem Ausland konnten die Oper von Strohballen, die als zusätzliche Sitzplätze herhalten mussten, verfolgen. Musik scheint tatsächlich Brücken zu bauen – egal ob es sich um "Hey Mamma" oder Carmen handelt. (Marc Vorsatz, 8.8.2017)