Performance mit Ketten, Leder und Früchten in der Leopoldstadt: "Everything Fits in the Room" von Aughterloney/Rosenblit.

Foto: Jorge León

Wien – Gewohnheiten vermitteln ein Wohlgefühl der Sicherheit. Wiedererkennen tut so gut, dass leicht übersehen wird, wie schnell sich dadurch ein Tunnelblick einstellt. Das ist auch in den darstellenden Künsten nicht anders. An den Betriebs-"Blendungen" der Bühnenkunst arbeiten sich die österreichische Choreografin Anne Juren und das Berliner Duo Simone Aughterlony / Jen Rosenblit bei Impulstanz ab.

Tanz müsste eigentlich zu den visuellen Künsten zählen, weil er traditionell darauf abzielt, in kalkulierten Bewegungsmustern organisierte Körper zu zeigen. Mit dieser Gewohnheit brach Anne Jurens Stück Anatomie. Das Publikum betrat im Kasino am Schwarzenbergplatz eine raumgreifende Installation aus schwarzen, luftgefüllten Plastikfolienschlangen (Vladimir Miller) und konnte auf Schaumstoffmatratzen liegend die Augen schließen.

Plastische Worte

Die Choreografin las einen Text, der mit plastischen Worten Vorstellungen davon vermittelte, was an oder in einem Körper vorgehen kann – zum Beispiel, wenn er von einer Zunge untersucht wird. Der stillgelegte Blick und die sprachgereizte Imagination verändern den Wahrnehmungszustand. Dabei kann sich eine luzide Trance einstellen, in der die Wortwindungen wundervolle Eigendynamiken entwickeln.

Juren hatte diese imaginative Choreografie bereits bei Impulstanz 2015 in The Point ausprobiert. Nun funktionierte der Text besser, und Millers Installation lieferte den idealen Umraum dafür.

Auch in Everything Fits in the Room von Aughterlony und Rosenblit trägt eine ausgeklügelte Installation das Geschehen. Die Künstlerinnen haben die Nordbahnhalle in Wien-Leopoldstadt mit einer Ziegelmauer unterbrochen, um die Leuchtröhrenskulpturen arrangiert sind. Zusammen mit ihrem Gastperformer Philipp Gehmacher und begleitet von einer mobilen Küchen-Musik-Apparatur entfesseln Aughterlony/Rosenblit eine Flut von Aktionen, Situationen, Szenen und permanenten Verwandlungen, die das Publikum in ständiger Bewegung hält.

Geplantes Chaos

Dabei werden die Körper der beiden physisch ganz unterschiedlichen Frauen nackt, schweißnass und schmutzig. Tierknochen, Nadelbaumzweige, Früchte, Gummistricke, Latex- und Lederstücke, Ketten und andere Objekte kommen zum Einsatz. Sie verstricken die rastlosen Performer in eine Orgie der Abweichungen von jeglichem normiertem Gebrauch.

Diese Arbeit ist nicht immersiv, aber das Publikum befindet sich mitten im Geschehen. Und hinter dem scheinbaren Chaos der Abläufe steckt ein Plan: den gewohnten Blick zu ändern und in den Beobachtern eine Geschichte über Deregulierung wuchern zu lassen. Das schließlich verbindet die so unterschiedlichen Werke Anatomie und Everything Fits in the Room: Beide führen in eine ungewohnte, weil bühnenferne Lebendigkeit. (Helmut Ploebst, 5.8.2017)