Stephan Russ-Mohl ist Professor für Journalistik und Medienmanagement sowie Leiter des European Journalism Observatory an der Università della Svizzera italiana in Lugano.

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Der russische Präsident Wladimir Putin macht Urlaub in Sibirien und inszeniert sich wieder medienwirksam.

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Es ist merkwürdig, wie die meisten Medien im deutschen Sprachraum und in der westlichen Welt mit Propaganda umgehen. Autokraten, sei das nun Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdoğan, haben leichtes Spiel: Die Mehrzahl der Medien widmet sich kaum ihren Manipulationsversuchen der öffentlichen Meinung, wie sie ja auch sonst die Öffentlichkeit nur wenig über die Wirkungsmacht von Werbung und Public Relations aufklären.

Propaganda wird verharmlost oder ignoriert. Nur eine kleine Gruppe von Experten, darunter nicht zuletzt Geheimdienstleute, dramatisieren vermutlich ihren tatsächlichen Einfluss. Sie verbleiben mit ihrer Einschätzung allerdings weitgehend unterhalb der Schwelle öffentlicher Wahrnehmung. Die aktuelle Studie eines Forscherteams um Thomas Koch* (Universitäten Mainz und München) zeigt dagegen einmal mehr, wie sehr Journalisten der "Kontrollillusion" unterliegen, also dazu neigen zu glauben, sie würden selten oder nie Opfer von Fernsteuerungsversuchen.

Berichtet wird nur über Einzelfälle

Erst seit in Amerika die "New York Times", die "Washington Post" und CNN beharrlich "Russiagate" recherchieren und den Verbindungen von Donald Trump und seinem Wahlkampfteam zum Kreml nachspüren, und erst seit klar ist, dass es russische Versuche gab, in letzter Minute Emmanuel Macrons Wahl in Frankreich zu desavouieren, wächst die Angst, dass Ähnliches auch bei den bevorstehenden Wahlen in Deutschland und Österreich passieren könnte. Es werden indes immer nur Einzelfälle berichtet. Viel zu selten gerät ins Blickfeld, wie systematisch Autokraten, aber auch linke und rechte Populisten das Geschäft der Desinformation betreiben.

Das beginnt bei Putin und Erdoğan mit den von ihnen kontrollierten Medien, mit denen sie allein in Deutschland und Österreich mehrere Millionen Menschen mit türkischem oder russischem Migrationshintergrund erreichen, während sie im eigenen Land kritische Journalisten ins Gefängnis verfrachten. Es setzt sich fort mit Falschnachrichten oder Halbwahrheiten, die sie den etablierten Medien unterjubeln. Und es endet bei Trollen und Social Bots und deren Einflussnahme in sozialen Medien und Suchmaschinen (zum Beispiel Facebook und Twitter, Youtube und Google). Dabei hypt auch die russische Suchmaschine Yandex russische Fake News, während Google und Facebook immerhin erste Anstrengungen unternehmen, um Desinformation zu bekämpfen.

Verwirrung beim Publikum

Vor allem der Einfluss von Social Bots, also "Robotern", die Texte schreiben, aber auch mit "Likes" und "Shares" Falschnachrichten zu Aufmerksamkeit verhelfen, wird erst seit kurzem erkannt. Beim Publikum entsteht so Verwirrung. In bereits gespaltenen Gesellschaften wirkt Propaganda oftmals als weiterer Spaltpilz – und das ist haargenau das, worauf die Propagandaattacken zielen. In Deutschland halten sich die Kreml-Herren obendrein in fester freundschaftlicher Verbundenheit Fürsprecher.

Prominentestes Beispiel ist der deutsche Ex-Bundeskanzler Schröder, dem nach seinem bisherigen Mandat bei Nord Stream nun auch noch ein Sitz im Verwaltungsrat des größten russischen, vom Kreml kontrollierten Erdölkonzerns Rosneft angeboten wurde. Verblüfft hat aber auch die Nähe des verstorbenen Ex-Bundeskanzlers und "Zeit"-Herausgebers Helmut Schmidt und des vormaligen Ministerpräsidenten von Brandenburg, Matthias Platzeck, zu Putin.

Weniger verwunderlich ist, dass sich linke Populisten wie Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht ebenso wie die rechte Populistin Frauke Petry Putins Sympathisantenschar zurechnen lassen. Die Ex-Moskau-Korrespondentin des ZDF, Gabriele Krone-Schmalz, der Buchautor Hubert Seipel sowie 64 Intellektuelle, die 2014 kollektiv vor einer Dämonisierung Russlands warnten, reihen sich ebenfalls in diese Gruppe ein. So ist Putins Apparat bis tief in die deutschen Eliten und auch die deutschen Mainstreammedien hinein "verankert".

Nichts ist wahr und alles möglich

"Russlands RT Netzwerk – Ist es eher wie die BBC oder wie der KGB?", fragt Steven Erlanger in der "New York Times". Seine Antwort ist differenziert, aber letztlich doch eindeutig: RT anzusehen könne eine schwindelerregende Erfahrung sein: Hard News und erstklassige Infografiken mischten sich mit einem bunten Strauß von Interviews mit prominenten und unbekannten Leuten, mit Linken wie Rechten. Medienanalytiker sind sich jedoch uneins über den Einfluss, den RT ausübt. Wer von ihnen nur auf die Ratings schielt, warnt davor, den Einfluss zu überschätzen. Doch so zu argumentieren, geht womöglich an der Sache vorbei, sagt Peter Pomerantsev. Er hat vor zwei Jahren ein Buch über das russische TV- und Propagandaimperium geschrieben. Schon der Titel ist bemerkenswert und sagt eigentlich alles: "Nothing Is True and Everything Is Possible: The Surreal Heart of the New Russia" – Nichts ist wahr und alles möglich. Das surreale Herz des neuen Russland. Es gehe bei RT nicht um Einschaltquoten, sondern um Kampagnen mit dem Ziel finanzieller, politischer und medialer Einflussnahme, so Pomerantsev.

Problematisch sei es im Übrigen nicht, so der russische Publizist Boris Schumatsky, wenn die Propagandalügen allzu unglaubwürdig würden. "Das Gesindel frisst alles", sei das inoffizielle Motto des russischen Medienpopulismus. Es werde erst schwierig, wenn die Populisten begännen, ihre eigenen Fake News zu glauben. Das sei Putin 2015 passiert: "Bis dahin hatten vor allem immer wechselnde Fernsehlügen sein Regime getragen. Dann kam der Schock der ukrainischen Revolution, und vor lauter Erschütterung glaubte plötzlich der Kreml an eine der eigenen Lügen. Vielleicht war es auch Putin höchstpersönlich, der den fatalen Fehler machte und im Namen der 'russischen Landsleute' in einen echten Krieg zog, in dem Russland heute feststeckt."

Krieg in der Ukraine als Exerzierfeld

Der Krieg in der Ukraine war im Rückblick wohl zugleich das Exerzierfeld, um die Wirkungen der russischen Propaganda im Umgang mit den sozialen Medien zu testen. Die gebildeten Eliten in der Ukraine und auf dem zweiten Trainingsplatz, dem Kreml, dem Baltikum, haben – auch angesichts ihrer Vorerfahrungen mit der Sowjetunion – im Umgang mit Propaganda weit mehr Erfahrung als wir Westler. Liga Ozolina (Turiba-Universität, Riga) betont, selbst Journalisten führender amerikanischer Medien würden inzwischen bei Re:Baltica, einer Initiative zur Bekämpfung von Fake News, Erkundigungen einholen, was zu tun sei. Zuvor hat es das ukrainische Projekt Stopfake bereits außerhalb der Landesgrenzen zu Berühmtheit gebracht. Junge ukrainische Medienexperten und Studenten an der Mohyla-Journalistenschule in Kiew gründeten es 2014.

Die Betreiber solcher Faktencheck-Websites, die im Westen derzeit aus dem Boden schießen wie die Pilze, haben weiterhin viel zu tun. Ob sie Erfolg haben, ist dagegen derzeit eher zweifelhaft. Forscher wie Walter Quattrociocchi (IMT School for Advanced Study, Lucca) können inzwischen zeigen, dass es im Dschungel der sozialen Netzwerke zunehmend schwieriger wird, "aufklärerisch" zu wirken. Die Fake News und Halbwahrheiten der Propagandaapparate verbreiten sich einfach öfter und schneller als grauschattierte Nachrichten von Quellen und Medien, die sich ernsthaft der Wahrheitssuche widmen. (Stephan Russ-Mohl, 8.8.2017)