Auf der Bergstraße Richtung Čuhovići kam es zu einer interessanten Begegnung mit einem Diaspora-Prinzen.

Foto: Wölfl

Der Diaspora-Prinz kam in einem orangen Geländewagen – auf dem Rücksitz saßen Frauen – auf der Bergstraße Richtung Čuhovići an einer schattigen Stelle unter den Laubbäumen zu stehen. "Wo sind die anderen? Was machst du hier alleine?", sagte der Mann mit der Spiegelglassonnenbrille und dem Cowboyhut und wandte sich an eine der Frauen auf dem Rücksitz. "Sag ihr", sagte er zu einer der Frauen, "wir hier in Bosnien frühstücken nicht einmal alleine, aber schon gar nicht, aber sicher nicht gehen wir alleine spazieren!" Die Frau übersetzte brav, ich nickte und scharrte derweil ein Loch in den Schotter.

Tatsächlich war ich an diesem Tag die Einzige gewesen, die die rotkäppchenroten Walderdbeeren, die wie Markierungen den Weg auf den Berg hinaufführten, gegessen hatte. Gut, ich war einem Schafhirten begegnet, der fand, dass ich genauso gut wie er – denn ich hatte immerhin zwei Wanderstecken, einen mehr als er – seine Tiere weitertreiben konnte, was ich dann auch tat. Aber sonst war ich allein geblieben, allein mit diesem Blick auf die Dolinen, diese weiche Mulden, die wie Einbuchtungen im Kuchenteig aussehen, in den meine Mutter die Marillenhälften legt. Ich war allein geblieben mit dem Blick auf die Schlucht, die das Land unbarmherzig teilt – als wäre Bosnien nicht ohnehin schon viel zu zerstückelt. Aber immerhin lebe ich in diesem Staat – anders als dieser Diaspora-Prinz, der mir Lektionen erteilt und denkt, er müsse mir erklären, was ich ohnehin dauernd höre: Du darfst hier alles Mögliche, nur allein sein darfst du nicht!

"Uns gibt es hier nicht als Individuen"

Kürzlich hat ein Bekannter von mir in einem depressiven Anfall gemeint: "Uns gibt es nicht als Individuen, uns gibt es nur in einer Gruppe. Und du musst immer aufpassen, dass du nicht zur Gänze verschwindest, wenn du irgendwo allein bist." Ich selbst habe gar nicht den Eindruck, dass die Leute wollen, dass ich mich zu einer "Volksgruppe" bekenne, aber dass sie meinen, dass es sich um einen unhaltbaren Zustand handelt, dass ich nicht verheiratet bin. Und zwar mit einem Bosnier. Der Mechaniker kannte mich etwa fünf Minuten, als er mich fragte, ob ich "hier verheiratet" sei. Es ging in unserem Verhältnis eigentlich um die Beschaffung eines Nebellichts und einer Stoßstange. Aber für ihn ging es um meine Integrationsfähigkeit.

Die Fragen "Wieso bist du nicht verheiratet? Wieso hast du keinen bosnischen Mann?" waren für ihn weit wichtiger als die Bestellnummern für meinen Toyota. Als seine Frau sich einige Tage später der Rätselhaftigkeit meines Daseins annahm, meinte sie: "Wenn du noch ein bisschen besser die Sprache lernst, kann es kein Problem sein, dass du dich hier verheiratest." Nun sind mein Mechaniker und seine Frau ganz sympathische und freundliche Menschen, und sie wollen mich sicher nicht ärgern. Ihre Frage kommt auch von anderen dauernd und rührt daher, dass Frauen ganz einfach als merkwürdige, gescheiterte Existenzen gesehen werden, solange sie nicht verheiratet sind.

So wie jene Frau, die jetzt von einem Mann geheiratet werden soll, den ich früher einmal kannte. Emir hatte mich nach zwei, drei Jahren kontaktiert und mir erzählt, er werde jetzt die "Tochter vom Arbeitgeber" heiraten, um die "grüne Karte" zu bekommen und in Österreich arbeiten zu können. "Will das dein Chef, oder will das die Tochter vom Chef?", fragte ich ihn. "Hör mir mal zu: Erstens gibt es nur einen Chef, und das ist Allah – der Typ ist nur mein Arbeitgeber", antwortete er sehr selbstbewusst. "Und zweitens heirate ich sie nur wegen der grünen Karte! Solange wir keine Kinder haben, kann ich am Montag auch eine andere Frau befriedigen, am Dienstag die nächste, am Mittwoch wieder eine andere!"

"Kann es sein, dass du dicker geworden bist?"

Manche Bosnier, die sich gerne über die Vielweiberei der arabischen Gäste beschweren, erschienen mir plötzlich ziemlich scheinheilig. "Und warum will sie dich heiraten?", befragte ich ihn über die Absichten der österreichischen Krankenschwester. "Schau, sie ist 36", meinte er. "Und ihr Vater ... Sie kommt nächste Woche nach Sarajevo, um mich kennenzulernen." Emir mochte offensichtlich meine Fragen nicht. Einige Stunden nach unserem Gespräch sandte er mir eine Nachricht auf Facebook: "Kann es sein, dass du dicker geworden bist?", lautete die Frage des 30-Jährigen. "Weißt du, was Bodyshaming ist?", fragte ich ihn. Emir wusste das nicht. Er ist eine Umgebung gewöhnt, in der Frauen permanent nach ihrem Äußeren beurteilt werden. Auch von Frauen.

Die Mutter meines besten Freundes M. mag zuweilen gar nicht mehr in die Čaršija, weil sie dann von ihren "Freundinnen" angesprochen wird: "Na, hast du nicht ein bisschen zugenommen?" Manche zwicken ihr dabei offenbar sogar in die Hüften. "Wieso machen die Leute so etwas?", frage ich meinen besten Freund M. "Ich weiß es nicht. Die wissen, dass das die Leute verletzt, weil sie wissen, dass es sie selbst verletzen würde", sagt M. Ich denke: Wahrscheinlich muss man die einfach zurückzwicken oder an den Ohren ziehen und sagen: "Na, hast du aber große Ohrläppchen bekommen!" Und wenn sie fragen, was das soll, dann kann man noch immer sagen: Ich habe von euch gelernt, dass man sich in Bosnien vor allen Dingen dauernd in Dinge einmischen soll, die einen mit Sicherheit gar nichts angehen. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 8.8.2017)