Prothesen, halblustige Effekte und ein bisschen Tittytainment genügen nicht. Navaridas & Deutinger versuchen in "Pontifex" erfolglos, das System mit dessen eigenen Mitteln zu konterkarieren.

Foto: Kati Göttfried

Wien – Um zu vernehmen, dass es das Vereinte Europa gerade schwer hat, braucht dessen Bevölkerung weder Papst noch Kunst. Um aber die komplexen Probleme dieses Staatenbundes mit seinen 511,8 Millionen Einwohnern zu überwinden, braucht es alle. Auch den Papst, der mit seiner Europarede vom Mai 2016 zum Thema des neuen Stücks Pontifex des Grazer Performanceduos Navaridas & Deutinger geworden ist. Die satirische Arbeit wird von Impulstanz im Kasino am Schwarzenbergplatz gezeigt.

Mehr noch als den Papst braucht Europa seine Künste und deren geradezu fantastische Vielfalt. Die Diskussion darüber, wie gefährdet diese Pluralität heute ist, hat erst begonnen. Zensur kommt aus wiedererwachendem Nationalismus, von neuen moralistischen Identitätsideologien und – mittelbar – aus einer anschwellenden Effizienzlogik.

Letztere fragt beständig danach, ob und wie sich welche Art von Kunst eigentlich "rentiert". Die katholische Kirche dagegen hat zurzeit andere Sorgen, als sich um Kunst zu kümmern. Papst Franziskus steht für soziale Anliegen, und er sucht, den schweren Apparat der Kirche frauen- und homosexuellenfreundlicher zu machen. Unter seinem Vorgänger Benedikt XVI. galt das Gegenteil.

Wie interessant ist es also, sich jetzt ausgerechnet auf Papst Franziskus zu stürzen? Alex Deutinger und Marta Navaridas hätten auch seine kontroversiell diskutierte Rolle als Leiter des Jesuitenordens zur Zeit der argentinischen Militärdiktatur ins Visier nehmen können. Zugegeben, das ist schwer vermittelbar. Lustiger kommt es schon daher, den populären Papst zu verhonigeln und ihn in den bunten Suppen der Popkultur zu baden.

Scheinheiligkeit der Reden

Gemeinsam mit der anbetungswürdigen Musikerin Adina F. Camhy – sie tritt auch als Allegorie der Utopie auf – schunkelt das Paar daher angestrengt lässig durch Franziskus' appellierende Worte: "Ich träume von einem Europa, in dem das Migrantsein kein Verbrechen ist ..." Da haben Leute schon Schlimmeres gesagt. Navaridas und Deutinger biegen daher auf den Bigotterieverdacht ab, unter dem die katholische Kirche mit ihren älteren und jüngeren historischen Lasten steht. Erst gegen Ende des Stücks verknüpfen sie dies explizit mit der Hypokrisie der ethisch verbrämten Share-Economy und den Schwächen der EU-Führung, samt ironischem Dank an die zuständigen Politiker.

In Pontifex geht es auch, wie sich im Verlauf des Stücks in mehreren Passagen herausstellt, um die Scheinheiligkeit der Reden, die von allen möglichen sakralen und profanen Ideologieträgern gehalten werden. Hätte das Künstlerpaar gleich hier angesetzt, welche Möglichkeiten wären ihm offengestanden! Doch die beiden teilen mit vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen gerade ein Riesenproblem: Sie scheitern daran, ein globales, auf mediale und politische Spektakel gebautes kreativindustrielles System mit dessen eigenen Mitteln zu konterkarieren. So wirkt auch Pontifex samt seinen Kostümchen und Perücken, halblustigen Effekten, Prothesen und einem bisschen Tittytainment viel zu kleinkariert.

Camhys Karikatur der Utopie schließlich wäre dort richtig bissig, wo die neue Seligkeit vom Himmel herabgelogen wird – von technologischen "Päpsten" wie Larry Page, Elon Musk oder Mark Zuckerberg. Aber das haben Navaridas und Deutinger nicht wirklich überrissen. (Helmut Ploebst, 8.8.2017)