STANDARD: Wir sitzen hier in einem Besprechungszimmer an einem Tisch des Designers Jean Prouvé. Es ist piekfein aufgeräumt, kein Blatt Papier liegt herum. Dabei heißt es, Sie seien ein totaler Messie.

Rolf Fehlbaum: Sie sollten mal mein Büro sehen. Das sieht nicht so aus, wie man sich das Büro eines Managers vorstellt. Es ist voller Zeugs und Bücher, die Wände sind voller Fotos.

STANDARD: Apropos Fotos: Sie haben viele große Persönlichkeiten des Designs kennengelernt. Können Sie uns von der ersten Begegnung mit Charles und Ray Eames erzählen? Sie waren damals 16 Jahre alt.

Fehlbaum: Da tut sich mir eher ein allgemeines Bild auf. Die Begegnungen mit Charles Eames waren sehr fordernd. Er war eine strahlende und faszinierende Figur, sehr, sehr kritisch. Man hat immer aufgepasst, was man sagt. Ich war damals sehr jung. Ich war Schüler, die Eames die Meister.

Rolf Fehlbaum und zwei seiner Lieblinge: Von Eames ist der Sessel, von Prouvé der Tisch.
Foto: Lars Petter Pettersen

STANDARD: Die Eames schauen auf den Fotos immer so unglaublich happy aus. Waren sie das?

Fehlbaum: Es gibt in der Architektur und im Design Figuren, die nicht nur durch ihr Werk ikonisch wirken, sondern auch durch ihre Persönlichkeit. Charles sah sehr gut aus, Ray war sehr charakteristisch. So entspannt sie mit ihrer Art auch rüberkamen, das war schon alles gut ausgewählt. Es geht bei ihrem Design darum, eine Befriedigung für möglichst viele zu schaffen. Diese Herausforderung kann man auch durch Persönlichkeit ausstrahlen und inszenieren.

STANDARD: Charles Eames sagte, Design dürfe nicht zu persönlich sein, weil sich im allzu Persönlichen die Eitelkeit des Gestalters manifestiert. Ist es nicht die Handschrift, die man spüren will?

Fehlbaum: Das hat er gut gesagt. Wenn ein Designer über die Zeit eine gewisse Konsistenz zwischen seinen Entwürfen erschafft, eine Art Verwandtschaft erkennbar wird, ergibt sich ein Stil. Die Eames wollten keinen Stil, Jean Prouvé wollte keinen Stil, aber ihre Sprache wurde mit der Zeit erkennbar.

STANDARD: Wie sieht es heute mit den Designern und Inszenierung aus?

Fehlbaum: Sehen Sie sich doch nur Philippe Starck mit seinen Auftritten und Sprüchen wie "Ich designe in 30 Sekunden" an. Durchaus ein brillanter Kopf. Ein Gegenpol zu Starck und ein Musterbeispiel für Zurückhaltung ist Jasper Morrison. Er ist so, wie er auftritt, verführt nicht und lässt sich nicht verführen. Er möchte sich nicht fotografieren lassen, möglichst keine öffentlichen Auftritte. Trotzdem kommt die Figur gut herüber.

"Project Vitra".
Foto: vitra

STANDARD: Eine der Ausstellungen, die gerade auf dem Campus zu sehen sind, heißt "Project Vitra". Dieses startete vor 60 Jahren mit der Produktion von Möbeln von den Eames und George Nelson. Viele der Klassiker von damals erfreuen sich heute größerer Beliebtheit denn je. Warum? Geben sie den Menschen Sicherheit?

Fehlbaum: Das ist nicht leicht zu beantworten. Den Erfolg eines Klassikers auf eine Unsicherheit seitens der Kundschaft zurückzuführen, wäre zu kurz gegriffen. Natürlich hilft es, wenn man sagen kann: "Das hat sich so lange bewährt, also wird es noch länger so sein." Vor allem hilft es Menschen, die sich nicht so sehr mit Einrichtung beschäftigen.

STANDARD: Aber warum wird das eine zum Klassiker und das andere nicht? Sie müssten diese Frage beantworten können.

Fehlbaum: Das sind keine Zufälle, da steckt auch kein Marketing dahinter. Dabei geht es um ein Überleben beim ständigen Kampf zwischen dem Neuen und dem Alten. Jedes neue Produkt möchte sich gegen ein bestehendes durchsetzen, sonst findet es keinen Markt. Die Tatsache, dass ein älteres Produkt diesen Kampf immer wieder gewinnt, heißt schon was. Plakativ könnte man auch sagen: "survival of the fittest". Aber irgendwann wird auch der Klassiker verdrängt.

STANDARD: Und wird zur Antiquität?

Fehlbaum: Nein, im Gegensatz zur Antiquität ragt der Klassiker in unsere Zeit hinein. Wenn jemand, der nicht so viel Ahnung von Design hat, in diesen Raum kommt und diesen Tisch von Jean Prouvé sieht, glaubt der mir sofort, wenn ich sage, das sei unser allerneuestes Produkt. Der Tisch ist jahrzehntealt. Dasselbe gilt übrigens auch für die Literatur. Warum werden manche Bücher noch immer gelesen, andere nicht?

Klassiker unter sich: Links der Plastic Chair, rechts der Lounge Chair, beide von Charles & Ray Eames.
Foto: vitra

STANDARD: Welchen Klassiker würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?

Fehlbaum: Warum sollte ich mir ein Möbel auf eine einsame Insel mitnehmen? Ich denke, ich könnte dort anderes besser gebrauchen.

STANDARD: Lassen Sie uns über das Designbewusstsein sprechen. Viele kennen Eames oder Prouvé gar nicht, am ehesten noch Philippe Starck. Peter Teichgräber, der Doyen des österreichischen Möbelhandels, meint, Design gehöre in den Lehrplan. Wenn Sie ein Politiker wären, was würden Sie für das Design tun?

Fehlbaum: Teichgräber ist ein guter Mann mit interessanten Positionen, der etwas bewegt hat. Aber in Wien gibt es einen Mann, der in Sachen Architektur-Design-Diskurs mehr getan hat als jeder andere. Was Peter Noever als Direktor des Wiener Mak weitergebracht hat, war weit über die Grenzen hinaus unglaublich. Die Kühnheit dieser Ausstellungen ...

STANDARD: ... Peter Noever wurde aber auch heftig kritisiert.

Fehlbaum: Ach, wissen Sie, die Kleingeister, die Kleingeister ... Zurück zu Ihrer Frage: Genau solche Leute wie Peter Noever würde ich fördern, wenn ich ein Designminister wäre. Figuren, die etwas bewegen, nicht irgendwelche Bürokraten, die irgendeinen Designkurs an der Schule anbieten wollen. Design ist eine junge, vitale Disziplin, die sich selbst durchsetzen muss. Klar wäre es schöner, wenn unsere visuelle Kultur ausgeprägter wäre. Dazu trägt Ihre Arbeit als Journalist bei und meine hier mit dem Vitra-Campus, dessen verschiedenste Orte jährlich 350.000 Menschen besuchen. Ich sehe den Campus als Sensibilitätsschule.

Möbel von Vitra auf dem Vitra Campus.
Foto: vitra, Foto: Tobias Madörin

STANDARD: Herr Fehlbaum, Sie haben viele der besten Möbelentwürfe im Programm. Sprechen wir über Einrichtung. Was machen Menschen beim Wohnen falsch?

Fehlbaum: Ich sehe nicht so viele Wohnungen. Was mir aber schon auffällt, ist, wie überstylt das Wohnen in den Zeitschriften rüberkommt. Diese riesigen Wohnungen haben ja nichts mit der Realität zu tun, diese schönen Damen, die da zu sehen sind, irgendwo sitzt noch ein hübsches Kind herum und vielleicht noch eine Katze. Eine gute Einrichtung passiert meiner Meinung nach mit der Zeit, sie ist eine Collage und setzt sich aus den verschiedensten Dingen zusammen. Dem Thema Inneneinrichtung sollte mehr Beachtung geschenkt werden.

STANDARD: Wieso passiert das nicht?

Fehlbaum: Früher war ein Architekt auch Innenarchitekt, denken Sie an Adolf Loos, Josef Frank etc. Diese Verbindung ist heute unterbrochen. Sehr viele Architekten setzen sich nicht mehr mit dem Innen auseinander. Es gibt keinen Diskurs. Und ohne Diskurs wird jede Disziplin zu einer Hilfsdisziplin. Wir beide können auf der Stelle die Namen von 20 großen Architekten aufzählen, auch locker die von 20 großen Designern, aber versuchen Sie das einmal mit Namen, die sich auf die Gestaltung von Innenräumen beziehen. (Michael Hausenblas, RONDO, 22.8.2017)

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