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Sebastian Kurz gibt vielen Beobachtern Rätsel auf.

Foto: AP/ Ronald Zak

Der Wahlkampf 2017 wird viel mehr als früher von starken neuen Persönlichkeiten dominiert. Im Vergleich zu Christian Kern, Ulrike Lunacek oder Peter Pilz wirken selbst die einstigen bunten Vögel Heinz-Christian Strache und Matthias Strolz etwas fahl.

Aber die dominierende Figur in der politischen Szene ist Sebastian Kurz. Niemand beschäftigt die interessierte Öffentlichkeit so sehr wie der ÖVP-Chef, niemand polarisiert wie er. "Wie hältst du es mit Kurz?" ist die Gretchenfrage in diesem Wahlkampf.

Gründe für Misstrauen ...

Unter STANDARD-Lesern – und auch in der STANDARD-Redaktion – überwiegt bei weitem das Misstrauen gegenüber dem Jungstar. Dafür gibt es gute Gründe. Kurz führt – als erster Nicht-FPÖ-Politiker – einen klassischen Ausländerwahlkampf, in dem er jedes Thema auf das Problem der Zuwanderung reduziert. Er markiert den strengen Gesetzeshüter, indem er eine Verschärfung der Strafen für Gewaltverbrecher fordert, obwohl eine solche erst vor kurzem umgesetzt worden ist.

Er holt sich Quereinsteiger mit fragwürdigen politischen Profilen – die Leichtathletin Kira Grünberg, deren einzige politische Qualifikation ihr würdevoller Umgang mit ihrem tragischen Unfall ist; oder den Professor Rudolf Taschner, dessen Verdienste um die Popularisierung der Mathematik von seiner Ablehnung des wissenschaftlichen Konsenses über die Gefahren des Klimawandels wettgemacht werden. Wollen wir wirklich einen VP-Wissenschaftssprecher oder gar einen Wissenschaftsminister, der in der Schlüsselfrage unserer Zeit Donald Trump viel näher steht als Angela Merkel?

... und Gründe für Zustimmung

Kurz ist vielen suspekt. Aber genauso viele aufgeklärte, liberale Bürgerinnen und Bürger sind von ihm beeindruckt.

Jahrelang wurde nach einer wirksamen Antwort auf den Populismus von Haider, Strache und Co gerufen. Kurz liefert sie, indem er die Mehrheitsmeinung, wonach die Zuwanderung streng kontrolliert werden muss, übernimmt und sie ohne Hetze und Polemik präsentiert.

Wer nach der Richterschelte für seinen Aufruf zu härteren Strafen für Gewaltverbrechen gedacht hat, dass er sich jetzt in der Defensive befinden werde, wurde von seinem Interview im Ö1-"Mittagsjournal" eines Besseren belehrt: Gut nachvollziehbar legte Kurz dar, warum er die jüngste Strafrechtsreform für einen Schritt in die richtige Richtung hält, aber noch nicht für ausreichend – und warum er gerade jetzt, mitten im Wahlkampf, das Thema anschneidet. Das sei kein Populismus, denn schließlich sei er erst seit wenigen Wochen Parteichef und widme sich daher einem breiteren Themenspektrum. Wenn Kurz spricht, klingt er glaubwürdiger als Kern in seinen ehrlichsten Momenten.

Analytisch und entscheidungsstark

Kurz ist ein politisches Naturtalent mit hoher sozialer und analytischer Intelligenz, der in kritischen Augenblicken meist sehr rasch die politisch richtige Entscheidung trifft. Das war im Herbst 2015 der Fall, als er als Erster in der Regierung die Drosselung der Flüchtlingswelle forderte – und dies auch einige Monate später durchsetzte. So auch im Mai dieses Jahres, als ihn der Rücktritt Reinhold Mitterlehners unter unerwarteten Zugzwang setzte und er mit einem beinharten Forderungspaket an seine Partei und die Auflösung der Koalition das Gesetz des Handelns sofort wieder zurückgewann.

Für viele repräsentiert Kurz jenen Typ des liberalen und demokratischen Politikers, der mit den Mitteln eines moderaten Populismus die wirklich gefährlichen Populisten in die Schranken weisen kann – eine konservativere Ausgabe von Emmanuel Macron oder Matteo Renzi.

Ein zweiter Orbán?

Aber ist Kurz überhaupt liberal und demokratisch, oder ist er ein Möchtegern-Orbán? Das ist die entscheidende Frage, die derzeit niemand mit gutem Gewissen beantworten kann. Denn auch der Viktor Orbán der 1990er-Jahre war noch nicht der autoritäre Antidemokrat von heute.

Aber eines ist sicher: Wenn Kurz der nächste Bundeskanzler wird – und die Chancen dafür stehen nicht schlecht –, wird er das Land spalten wie kaum ein anderer Regierungschef. (Eric Frey, 11.8.2017)