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Jede Änderung im Pensionssystem bringt Gewinner und Verlierer. Sie auszumachen ist nicht immer einfach.

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Nach 35 Dienstjahren steht Gerhard davor, den Taschenrechner und die Trillerpfeife abzugeben. Gerhard unterrichtet Mathe und Sport an einem Wiener Gymnasium. Er ist 60 Jahre alt und möchte in zwei Jahren in Pension gehen. Dass er dafür finanzielle Abschläge in Kauf nehmen muss, weil er das gesetzliche Pensionsalter nicht erreichen wird, stört Gerhard nicht. Dafür hat er vier Enkelkinder und genügend Hobbys.

Was den Lehrer aber beunruhigt, ist die "große Rechtsunsicherheit". Im Wahlkampf werde ständig über den Reformbedarf im Pensionssystem gesprochen, wer wisse, was da noch kommen mag.

Der Fokus der Parteien auf das Thema im Wahlkampf hat einen guten Grund. Ökonomen sind sich weitgehend einig, dass Österreich ein Problem hat: Derzeit wird die Pensionsversicherung zu 30 Prozent aus dem Budget bezuschusst. Dieses Geld fehlt also für den Bau neuer Schulen und die Schaffung neuer Infrastruktur. Die altersbedingten Gesamtausgaben sind laut einer Rechnung des Ökonomen Thomas Url von 10,4 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 1996 auf heute 13 Prozent gestiegen.

Ausgabensteigerung erwartet

Weil die Lebenserwartung steigt, könnten die Ausgaben weiter steigen. Um die Zusatzkosten zu decken, könnten Versicherungsbeiträge steigen. Die Abgabenbelastung der Arbeitseinkommen ist in Österreich aber bereits hoch. Ein weiterer Anstieg könnte Jobs kosten. Eine Alternative wäre, die Pensionszahlungen zu senken. Das würde aber zu mehr Altersarmut führen. Sonderpensionen im staatsnahen Bereich zu kürzen würde die Finanzlücke nicht schließen, so Experten.

Eine alternative Idee lautet, das Pensionsantrittsalter automatisch an die Lebenserwartung zu koppeln. Die Neos fordern das, und die ÖVP sympathisiert mit dem Gedanken. ÖVP-Chef Sebastian Kurz will seine wirtschaftspolitische Agenda erst im September vorstellen. In einem vom ihm im Jänner präsentierten Bericht der politischen Akademie der ÖVP heißt es: "Das Pensionsantrittsalter sollte in Zukunft auch auf die Lebenserwartung Rücksicht nehmen."

Oft als Vorbild genannt wird bei den Überlegungen Schweden, wo die Lebenserwartung bereits berücksichtigt wird. Doch wie funktioniert das System dort? Die Antworten hat Ole Settergren. Er ist Leiter der Forschungsabteilung bei Pensionsmyndigheten, der staatlichen Pensionsagentur in Stockholm.

Minus ausgleichen

Das Pensionsantrittsalter in Schweden beträgt für Männer wie Frauen 65 Jahre. Die Versicherungsbeiträge eines Bürgers werden auf einem Konto erfasst. Beim Antritt des Ruhestands wird der monatliche Bezug unter Berücksichtigung der aktuellen Lebenserwartung des Geburtsjahrgangs errechnet. Steigt die Lebenserwartung, bekommt man dementsprechend jeden Monat weniger staatliche Pension. Damit bleibt die Summe der Auszahlungen gleich. Die Faustregel: Steigt die Lebenserwartung um ein Jahr, muss ein Schwede acht Monate länger arbeiten, um das Minus pro Monat auszugleichen.

Ganz gelöst haben die Schweden die Altersproblematik nicht. Soziale Sicherungsbeiträge wie das Arbeitslosengeld enden mit 65. Menschen, die später keinen Job finden, werden in die Pension gedrängt. Settergren sagt, dass die Budgetzuschüsse zur Altersversorgung rückläufig seien. Das liege daran, dass in Schweden weniger Menschen frühzeitig in Invaliditätspension gehen dürfen. Zudem trage die Rücksichtnahme auf die Lebenserwartung zur Entwicklung bei. Gestiegen sei zudem das Pensionsalter: Schweden arbeiten länger als Österreicher. Doch diesen Trend habe es bereits vor der Einführung des aktuellen Systems 1998 gegeben. Was auf die Reform zurückführbar sei, sei nicht feststellbar, so Settergren.

Zuletzt habe im Land eine Debatte darüber eingesetzt, wie fair das schwedische Modell sei. Die Lebenserwartung hängt neben dem Geschlecht wesentlich von Bildungsgrad und Einkommen ab. Besserverdiener leben in der Regel länger. Das bedeutet, dass die Koppelung der monatlichen Zahlungen an die Lebenserwartung soziale Gruppen unterschiedlich trifft. Die Schweden hätten die Debatte selbst aus Frankreich importiert, wo über diese Fragen intensiv gestritten werde, so Settergren.

Wer länger lebt

Auch in Österreich ist die Lebenserwartung unterschiedlich. Die Differenzen bei Frauen sind geringer. Eine Studie der Statistik Austria auf Basis von Haushaltsbefragungen zeigt, dass für Männer, die zu dem unteren Fünftel der Einkommensverdiener zählen, das Sterberisiko zweimal höher ist als im obersten Fünftel. Ein 65 Jahre alter Mann mit Pflichtschulabschluss hat eine Lebenserwartung von 16,8 Jahren, bei jemandem mit Hochschulabschluss sind es 20,9 Jahre. Wird das Pensionsantrittsalter um zwei Jahre angehoben, verliert Letzterer ein Zehntel seiner Ansprüche, Ersterer 12,5 Prozent. Die Lebenserwartung von Männer mit niedrigerer Bildung steigt etwas langsamer als jene von Männern mit hoher.

Hinzu kommt, dass Menschen mit Lehre und Pflichtschulbildung meist früher zu arbeiten beginnen. Sie profitieren also später von längeren Einzahlungen ins Pensionssystem nicht im selben Maß durch höhere Auszahlungen wie viele Uni-Absolventen.

Der Pensionsexperte Christian Keuschnigg sieht die Verknüpfung des Pensionsantrittsalters mit der Lebenserwartung dennoch als beste Lösung für die Zukunft. Damit würden der jüngeren Generation nicht exorbitante Kosten aufgebürdet und Österreich könne die Pensionszahlungen auf hohem Niveau halten.

Klar sei, dass für Menschen in der unteren Einkommenshälfte Pensionsansprüche das einzig nennenswerte Vermögen sind, das sie im Laufe des Lebens erwerben, so der Ökonom. Eine Möglichkeit, um Einschnitte fair zu verteilen, wäre, auf Bildungsgrad oder andere soziale Faktoren Rücksicht zu nehmen, sagt Keuschnigg. Das Pensionsalter würde also mit der Lebenserwartung steigen – aber nicht für alle gleich rasch. (András Szigetvari, 11.8.2017)