Narendra Modi ist seit 2014 Indiens Premierminister. Mit seiner Bharatiya Janata Party (BJP) treibt er eine hindunationalistische Politik voran. Er hat auch den internationalen Yoga-Tag ausgerufen.

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Ich sollte mich indischer kleiden", sagt Seema leicht beschämt. Vor kurzem hat die 26-Jährige ein Seminar der hindunationalistischen Rashtriya Swa yamsewak Sangh (RSS) besucht, seither haben sich ihre Ansichten radikal verändert. "Wenn Frauen Jeans anziehen, werden sie eher vergewaltigt", erklärt Seema und entschuldigt sich gleichzeitig für ihre schwarze, enge Hose. "Das ist Mode, aber ich sollte immer Shalwar-Kameez (die traditionelle, weite Kleidung) tragen", sagt sie in einem Gespräch mit dem Indian Express.

Seema, geboren in eine Mittelklassefamilie in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi, ist eigentlich Christin. Doch inzwischen fühlt sie sich im hinduistischen Glauben besser aufgehoben. "Hindus sind eine Einheit". Ihre neuen Ansichten gäben ihr neues Selbstvertrauen und ein Gefühl der Stabilität. Lange hatten es Indiens Hindunationalisten schwer, größere Teile der Bevölkerung zu erreichen.

Mit ihrer extremen Ideologie und ihren als verquer empfundenen Ansichten wurden sie von der Ober- und Mittelschicht des Landes oft nur müde belächelt. Dass ausgerechnet ein RSS-Mitglied Indiens Unabhängigkeitskämpfer und Idol Mahatma Gandhi 1948 ermordet hatte, lastete lange wie ein hässlicher Schandfleck auf der Organisation, deren Gründer sich an der nationalsozialistischen Hitlerjugend orientierten.

Intoleranz nimmt zu

Doch seit Indiens Premierminister Narendra Modi an der Macht ist, ist diese Weltanschauung in neuen Kreisen hoffähig geworden. Modi, ein bekennender Hindu, der sich vegetarisch ernährt und an religiösen Feiertagen fastet, ist seit seiner Jugend RSS-Mitglied. Mit klugem politischem Kalkül weitet der Politiker seine Basis aus und bereitet einem hinduistischen Indien den Weg.

Das Land war lange stolz auf seine religiöse Toleranz gewesen, mit dem man sich vom Erzrivalen Pakistan absetzte. Doch nun beginnen Kritiker, Parallelen zur Entwicklung des Nachbarlands zu ziehen: Angriffe auf Oppositionelle, Journalisten, Schriftsteller und Künstler, Schikanen gegen internationale Hilfsorganisationen und Mob-Gewalt gegen religiöse Minderheiten sind nun auch an der Tagesordnung.

Angriffe auf Nichthindus

Führende Politiker von Modis Regierungspartei provozieren gezielt alle Nichthinduisten: Der Regierungschef des Bundesstaates Uttar Pradesh, Yogi Adityanath, erklärte kürzlich, den berühmten Taj Mahal, ein Meisterwerk islamischer Kunst, repräsentiere nicht die indische Kultur.

In Uttar Pradesh, wo jeder fünfte Einwohner Muslim ist, wiegt so ein Ausspruch doppelt schwer. Im Jahr 1947 hatten sich hier Millionen Muslime dazu entschieden, nicht in die neu gegründete Islamische Republik Pakistan auszuwandern und stattdessen Indiens Versprechen eines pluralistischen und säkularen Staates ernst genommen. Etwa 80 Prozent der indischen Bevölkerung, rund eine Milliarde Menschen, sind Hindus, Muslime stellen mit 170 Millionen die zweitgrößte Gruppe.

In dem Klima der Intoleranz wittern politische Extremisten Morgenluft: Im Juli war ein 15-jähriger Muslim in einem Zug in Nordindien gelyncht worden, nachdem ein Streit um einen Sitzplatz ausgebrochen war. Das Opfer war als "Rindfleischesser" beschimpft worden. Selbsternannte "Kuhschützer" terrorisieren auf dem Lande Muslime und andere Minder heiten, weil sie angeblich Fleisch von Kühen essen, die für Hindus heilig sind. Paranoia macht sich breit, nicht nur Muslime zeigen sich besorgt: Kürzlich warnte die christliche Gemeinschaft, die etwa zwei Prozent der Bevölkerung ausmacht: "Wenn der RSS seinen Willen bekommt, wird Indien bald unter einer einheit lichen Religion, Kultur und Sprache vereint sein." (Agnes Tandler aus Neu-Delhi, 15.8.2017)